Am 13. September 2019 sollte der brandenburgische AfD-Vorsitzende Andreas Kalbitz gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen in Hörstel sprechen. Doch der von den AfD Kreisverbänden Münster und Steinfurt organisierte „Bürgerdialog“ fiel aus, nachdem Antifaschist*innen den Ort publik gemacht hatten. Das Seecafé in Hörstel distanzierte sich von der AfD und „rechtsextremer Politik“.
Die Einladung von Andreas Kalbitz durch den Kreisverband Münster kam durchaus überraschend. Kalbitz ist ein enger Vertrauter von Björn Höcke und eine maßgebliche Person von dessen innerparteilicher Truppe „Der Flügel“. Der Münsteraner AfD-Sprecher Martin Schiller hingegen gilt nicht als „Flügel“-Anhänger.
Zeitweilig wurde Kalbitz schon als kommender AfD-Bundesvorsitzender (von Höckes Gnaden) gehandelt. Wie Höcke entstammt Kalbitz aus dem neofaschistischen Milieu der Bundesrepublik. Nach und nach sind immer mehr Details seines Wirkens in Neonazi-Strukturen bekannt geworden, auf die Kalbitz stets mit Ausflüchten und Relativierungen reagierte. Kalbitz ist ein notorischer Lügner, der ebenso falsche Angaben über ein angebliches Studium an der FH wie über seine Neonazi-Aktivitäten macht. Kalbitz, Mitglied einer Burschenschaft und Autor extrem rechter Zeitschriften, behauptete, seine Teilnahme in uniformähnlichen Klamotten an einem konspirativen Camp der neonazistischen „Heimatreuen Deutschen Jugend“ (HDJ, 2009 verboten) habe ebenso nur einem allgemeinen Informationsinteresse gedient, wie seine Reise zu einem Neofaschisten-Aufmarsch nach Griechenland 2007 in einer 14-köpfigen Reisegruppe aus NPD-Funktionären.
Eine Einladung von Kalbitz durch den AfD Kreisverband Münster ist als Signal an den immer stärker an Macht und Einfluss gewinnenden „Flügel“ zu werten. „Martin Schiller und die AfD Münster passen sich nun also den veränderten Machtverhältnissen an. Ob dies aus opportunistischen oder inhaltlichen Gründen geschieht, ist insofern irrelevant, als dass so die weitere Radikalisierung der AfD unterstützt wird“, analysierte die „Antifaschistische Linke Münster“ in einer Pressemitteilung.
Gegenüber den „Westfälischen Nachrichten“ behauptete Martin Schiller, dass man nur mal „ergebnisoffen“ mit Kalbitz habe reden wollen, den man nicht „umgehen“ könne. Schiller und die AfD Münster konnten bislang noch dem „Flügel“-kritischen Lager im NRW-Landesverband um den vormaligen Landessprecher Helmut Seifen aus Ahaus zugerechnet werden. Im Juli war Seifen und ein Großteil des Landesvorstands, darunter auch Martin Schiller, zurückgetreten. Nur die Höcke-Getreuen Christian Blex, der Landessprecher Thomas Röckemann und Jürgen Spenrath blieben im Vorstand, der bald neu gewählt werden wird. Der Konflikt im NRW-Landesverband erreichte damit einen Höhepunkt, aber die Machtverhältnisse sind damit noch nicht geklärt.
Der Einfluss des „Flügels“ an der nordrhein-westfälischen AfD-Basis ist groß. Und Martin Schiller ist ein Opportunist, was er bereits beim letzten großen Konflikt innerhalb der AfD bewiesen hat. Schiller war ein Mann des NRW-Landesvorsitzenden Marcus Pretzell, doch als dieser nach der Bundestagswahl 2017 mit Frauke Petry die Partei verließ, blieb Schiller und versuchte weiter ohne Erfolg ein Mandat im Europaparlament zu bekommen.
So ist es sicher keine gewagte Prognose, anzunehmen, dass Schiller in der AfD bleiben wird, sollte sich der „Flügel“ in Herbst in NRW durchsetzen. Ohnehin sind die Konflikte innerhalb der AfD nicht zuvorderst inhaltliche. Zwar gehört Schiller in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik zur marktradikalen Fraktion, während der Flügel eine exkludierende Sozialpolitik zu Gunsten von „Deutschen“ und auf Kosten aller „Nicht-Deutschen“ präferiert. In den zentralen Themenfeldern wie Flüchtlings- oder Familienpolitik sind inhaltliche Unterschiede aber nicht zu finden.
Die Veranstaltung mit Kalbitz sollte ein Signal in Richtung „Flügel“-Basis sein. Zugleich – so vermuten es zumindest innerparteiliche Kontrahenten – sollte der Kandidat für den Landessprecherposten, Rüdiger Lucassen, als wählbare Alternative zu Röckemann präsentiert werden. Ein wenig des Glanzes des „Wahlsiegers“ Kalbitz sollte auf den ehemaligen Bundeswehroffizier Lucassen fallen. Dieses Ansinnen misslang gründlich. Die AfD sagte nicht nur die Veranstaltung im Kreis Steinfurt ab. Auch Vorträge von Kalbitz und Lucassen, die an den Folgetagen auf Einladung der Kreisverbänden Aachen und Krefeld stattfinden sollten, fielen aus.