Die nordrhein-westfälische AfD hat seit dem vergangenen Wochenende wieder einen vollzähligen Landesvorstand. Der Landesparteitag in Kalkar wählte den AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen aus Euskirchen (Foto) zum neuen Vorsitzenden. Einer seiner drei Stellvertreter wurde der Münsteraner AfD-Ratsherr Martin Schiller.
Schiller gehörte bis zum Parteitag im Juni in Warbug als Beisitzer dem Landesvorstand an. Damals trat er ebenso wie die Mehrzahl der anderen Vorstandsmitglieder zurück, nachdem es ihnen nicht gelungen war, den Co-Sprecher Thomas Röckemann abzusetzen. Röckemann, der Warendorfer AfDler Christian Blex und Jürgen Spenrath verblieben als einzige und bildeten einen „Rumpfvorstand“, der nun fest in der Hand von Anhängern des „Flügels“, der innerparteilichen Gruppierung um den Thüringer AfD-Führer Björn Höcke und den Brandenburger Andreas Kalbitz, war.
„Flügel“-Gefolgsleute scheitern
Schon Wochen vor dem Landesparteitag entbrannte ein Kampf um die Vorherrschaft im Landesverband. Den „Flügel“-Leuten um Blex und Röckemann stand ein Zusammenschluss von AfD-Politiker*innen gegenüber, die für sich selbst in Anspruch nehmen, „gemäßigt“, „konservativ“ oder „bürgerlich“ zu sein. Sie brachten den erst 2016 in die Partei eingetretenen, ehemaligen Bundeswehr-Oberst Rüdiger Lucassen als neuen Vorsitzenden ins Rennen. Statt der bisherigen Doppelspitze aus einem „Flügel“-Mann (Thomas Röckemann) und einem „Flügel“-Kritiker (Helmut Seifen aus Ahaus) sollte Lucassen die Partei künftig alleine führen.
Mit diesem Plan konnte sich das „Team Lucassen“ in Kalkar durchsetzen, alle ihre Wunschkandidaten wurden platziert. Zugleich wurde aber deutlich, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Landesverband im letzten Vierteljahr kaum verändert haben. „In Warburg hatten 61,3 Prozent der Delegierten gegen den Restvorstand votiert. Nur 38,7 Prozent hatten ihn unterstützt. Als drei Monate später nun in Kalkar der neue Vorsitzende gewählt wurde, votierten knapp 60 Prozent für Lucassen, knapp 40 Prozent für Röckemann. 321 Stimmen für Lucassen, 215 für Röckemann“, schreibt der „Blick nach Rechts“. Der „Flügel“ ist also weiterhin ein Faktor in NRW, dem weit über ein Drittel der Mitglieder zugerechnet werden kann.
Keine inhaltlichen Differenzen
Deutlich wurde in Kalkar auch, dass es nicht inhaltliche Fragen sind, die den Landesverband spalten, sondern dass es neben persönlichen Animositäten um taktische Differenzen geht. Lucassen erklärte in seiner Rede in Kalkar, „der Flügel und seine politische Positionierung“ seien nicht das Problem. „Eine Auseinandersetzung mit dieser Strömung innerhalb unserer Partei ist nicht nur notwendig, sondern auch sinnvoll. Der Rückschluss, man müsse wie die Gliederungen der AfD im Osten agieren, deren Arbeit kopieren und dann die gleichen Erfolge in NRW erzielen, ist falsch und zeugt von grenzenloser Naivität und lässt die unterschiedlichen Lebensverhältnisse im Ost und West außer Acht“, so Lucassen.
Da fügt es sich auch ins Bild, dass das „Team Lucassen“ im September in NRW versuchte, mehrere gemeinsame Vortragsveranstaltungen mit Rüdiger Lucassen und dem Brandenburger AfD-Führer, „Flügel“-Getreuen und langjährigen Neonazi Andreas Kalbitz durchzuführen. Martin Schillers AfD Kreisverband Münster war für die Organisation einer solchen Veranstaltung im Kreis Steinfurt verantwortlich, die aufgrund antifaschistischer Intervention aber ausfiel. „Die Veranstaltung mit Kalbitz sollte ein Signal in Richtung ‚Flügel‘-Basis sein. Zugleich – so vermuten es zumindest innerparteiliche Kontrahenten – sollte der Kandidat für den Landessprecherposten, Rüdiger Lucassen, als wählbare Alternative zu Röckemann präsentiert werden. Ein wenig des Glanzes des ‚Wahlsiegers‘ Kalbitz sollte auf den ehemaligen Bundeswehroffizier Lucassen fallen“, schrieben wir vor drei Wochen.
Ende der Konflikte?
Nach dem Landesparteitag in Kalkar zeigt sich: Röckemann, Blex und Co. haben es offenbar zu weit getrieben. Sie konnten ihre Unterstützungsbasis nicht ausbauen, daran änderten auch die Wahlerfolge der „Flügel“-Landesverbände in Sachsen und Brandenburg nichts. Im NRW-Landesverband fand sich eine Mehrheit, die hoffte, mit einem neuen Vorsitzenden könnte der die Partei seit Jahren belastende Streit endlich ein Ende finden.
Die Hoffnung auf „Einigkeit“ brachte auch einige AfDler gegen Röckemann und Co. auf, die eigentlich als „Flügel“-nah galten. So ist als neuer stellvertretender Vorsitzender Michael Schild aus dem Kreis Unna gewählt worden. Dessen Kreisverband versuchte vor einigen Jahren noch die AfD-Demonstrationspolitik aus dem Osten zu kopieren und lud zu Veranstaltungen mit Kalbitz ein. Vorstandsmitglieder wie Hans-Otto Dinse gerierten sich als regelrechte Höcke-Fans oder sind, wie Nils Hartwig, Aktivisten der „Identitären Bewegung“. Schild schrieb bereits im März 2019, der „Flügel“ habe seine Berechtigung als „innerparteiliches Korrektiv“, um Anbiederungen an die „AKK-CDU“ seitens der AfD zu verhindern. Zugleich trete er aber als eine „organisierte Seilschaft zur Durchsetzung personeller Interessen“ auf – und dies sei illegitim.
Auch bei Schild sind es keine inhaltlichen Differenzen, es geht ihm nicht um Mäßigung der Rhetorik oder der Forderungen, sondern es ist der Wunsch nach einem Ende des Streits, die ihn auf Distanz zum „Flügel“ brachten. „Nur die geschlossene Formation bildet die Grundlage für einen erfolgreichen politischen Kampf nach außen“, schlussfolgerte er. Ob die Geschlossenheit bei der NRW-AfD nun eintritt, ist aber mehr als fraglich.