Martin Schiller, AfD-Sprecher in Münster und Spitzenkandidat bei den Kommunalwahlen, ist stets um sein Image als „seriöser Geschäftsmann“ besorgt. Seine AfD würde er gerne als Teil des „bürgerlichen Lagers“ sehen. Doch diese Inszenierung gerät immer wieder ins Wanken. Dies liegt zum einen an der Politik des AfD-Kreisverbands und zum anderen an der Person Schillers selbst.
Als am Samstag, den 5. September 2020, Antifaschist*innen am Rande eines AfD-Standes in der Ludgeristraße protestierten, geriet Schiller durch den Slogan „Prügelmartin raus aus dem Stadtrat“ in Aufregung und zeigte Protestierende bei der Polizei wegen Verleumdung an. Doch der Slogan hat einen konkreten Hintergrund: Schiller wurde im November 2019 rechtskräftig wegen Körperverletzung verurteilt, weil er im April 2018 einen Gast der Stadtbücherei attackiert und die Treppen hochgezerrt hatte. Das Opfer erlitt dabei mehrere Prellungen und Hämatome.
Keine „bürgerliche Partei“
Die AfD Münster als ‚bürgerliche‘ Partei ist nichts weiter als eine Farce. Aber Schiller und Co ist viel daran gelegen, dieses Zerrbild aufrecht zu erhalten. Das zeigt nicht zuletzt seine Reaktion auf eine Meinungsäußerung wie „Prügelmartin raus aus dem Stadtrat.“ Immer wieder versucht sich Schiller als Teil einer „moderaten AfD“ zu inszenieren und grenzt sich vom Höcke-Flügel ab. Bei den Höcke-Fans in NRW ist er deshalb unbeliebt wie kaum ein zweiter AfD-Funktionär im Land. Der „Flügel“-dominierte Bezirksverband Münster versuchte erst vor einigen Monaten ihn aus der Partei ausschließen zu lassen – ohne Erfolg.
Abgrenzung vom Höcke-Flügel bedeutet aber nicht, dass Schiller tatsächlich Distanz zum brauen Sumpf aus Neonazis, rassistischen Wutbürger*innen und Anhänger*innen der Reichsideologie hält. Auch dies zeigte sich am vergangenen Samstag.
Extrem rechter Aktivist im Wahlkampfteam
Am Samstag war mit Markus Rahmsdorf ein Aktivist rassistischer und verschwörungsgläubiger Gruppen für die AfD in Münster im Wahlkampfeinsatz (siehe Aufmacher-Foto, rechts). Rahmsdorf war Teil des Wahlkampfsteams am AfD-Infostand in der Ludgeristraße. Nach persönlicher Einweisung durch Martin Schiller diente er, gemeinsam mit einem weiteren Mann, als „Sicherheitskraft“ für den AfD-Sprecher und Spitzenkandidaten bei der Ratswahl am Sonntag.
Der 1991 geborene Rahmsdorf ist unter anderem für die Gruppe „Patriotic Opposition Europe“ (POE) aktiv, auf deren Kundgebung am 3. August 2019 in Berlin er eine Rede hielt. Die Bühne teilte er sich unter anderem mit dem Neonazi Sven Liebich aus Halle, der bis zum Verbot 2000 Aktivist der militanten Neonazi-Organisation „Blood & Honour“ war und derzeit einen Versandhandel für rassistische Aufkleber betreibt. Zuletzt demonstrierte „Patriotic Opposition Europe“ Ende Juli in Köln gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Als Redner sprach dort ausgerechnet der Landtagsabgeordnete Stefan Räpple aus Baden-Württemberg. Seine, vielfach antisemitischen, Ausfälle gingen selbst der AfD zu weit, die ihn wegen „parteischädigenden Verhaltens“ ausschloss.
AfD-Wahlkämpfer Rahmsdorf hat auch Kontakte zu anderen rassistischen Gruppierungen: So war er im April 2019 als Redner und Ordner einer Demonstration der „Patrioten NRW“ in Gladbeck tätig (Foto), administriert die Facebook-Gruppe „Castrop-Rauxel Wehrt Sich“ und war 2019 Teil einer Reisegruppe um den Verein „Mönchengladbach steht auf“ von Dominik Roeseler. Roeseler ist eine der Führungspersonen der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und meldete deren in Straßenschlachten mündenden Aufmarsch 2014 in Köln an. Seine aus rechten Hooligans und rassistischen „Wutbürgern“ bestehende Gruppe „Mönchengladbach steht auf“ veranstaltete zahlreiche rassistische Aufmärsche und zuletzt auch Kundgebungen, auf denen die Gefahr des Corona-Virus geleugnet wurde.
Zwielichtige Gestalten im Wahlkampfeinsatz
Es ist nicht das erste Mal, dass die AfD Münster zwielichtige „Sicherheitskräfte“ einsetzte. Im September 2017 wurden Teilnehmer einer AfD-kritischen Kunstperformance mit Pfefferspray attackiert. Bei der Kommunalwahl 2014 ließ die AfD Münster ihren Infostand von Rockern bewachen, die bekannte Aktivisten der „Nationalen Sozialisten Münster“ mit Handschlag begrüßten. In der Vergangenheit wurden die „Einsätze“ der „Sicherheitskräfte“ oftmals vom AfD-Bezirksvertreter Jürgen Schänzer koordiniert. Am Samstag war er aber nicht vor Ort.
Dafür beteiligte sich Karl-Heinz Kramer fleißig am Verteilen des AfD-Werbematerials. Kramer sollte zur Kommunalwahl eigentlich auf Listenplatz 5 der AfD kandidieren. Recherchen machten aber publik, dass Kramer Inhalte der neonazistischen Partei „Der III. Weg“ sowie gewaltverherrlichende Grafiken teilte. Schiller hatte gegenüber den „Westfälischen Nachrichten“ die Inhalte zuerst als „Geschmacksache“ abgetan. Nachdem der mit Schiller verfeindete AfD-Bezirksverband Druck ausübte, wurde Kramers Kandidatur zurückgezogen.
Wenig Distanz zu Neonazis oder „Reichsbürgern“ zeigt Martin Schiller auch bei Facebook. Unter seinen zahlreichen Facebook-Freunden finden sich auch mehrere Personen, die schwarz-weiß-rote Fahnen in ihrem Profilbild zeigen und damit ihre demokratiefeindliche Gesinnung offen zur Schau stellen. Spätestens nach den Diskussionen um die zeitweilige Besetzung der Treppe des Reichstags durch Verschwörungsgläubige, Reichsbürger und Neonazis am 29. August sollte selbst bei Schiller die Bedeutung dieser Symbolik angekommen sein.
Aber von diesen „Freunden“ trennte sich Münsters AfD-Sprecher nicht. Vermutlich fallen Nazi-Symboliken und Reichsfahnen unter die viel beschworene „Meinungsfreiheit“, für die sich die AfD stark machen will. Klar ist aber: diese „Meinungsfreiheit“ gilt nur für Gesinnungsfreunde. Wer „Prügelmartin raus aus dem Stadtrat ruft“, dem gesteht Martin Schiller keine Freiheit der Meinungsäußerung zu. Dann macht er die Polizei zu seiner Handlangerin. Hauptsache, das Zerrbild der „bürgerlichen AfD“ wird nicht öffentlich angekratzt.