Der „1000-Kreuze-Marsch“ und die radikalen Abtreibungsgegner*innen

Am 10. Oktober 2020 fand in Münster erneut ein „1000-Kreuze-Marsch“ radikaler Abtreibungsgegner*innen statt.  In diesem Jahr konnte der Marsch aufgrund der Corona-Pandemie nicht am traditionellen Termin rund um den Todestag von Kardinal van Galen im März stattfinden, sondern wurde kurzfristig für den 10. Oktober angesetzt. Dies führte zu deutlich gesunkenen Teilnehmer*innenzahlen: So folgten nur gut 50 Personen dem Aufruf von „Euro Pro Life“ – statt zwischen 100 und 150 Personen in den Vorjahren.

Der sogenannte „1000-Kreuze-Marsch“ wird seit 2006 in Münster vom Verein „Euro Pro Life“ und seinem Vorsitzenden Wolfgang Hering aus München organisiert und mobilisiert Teilnehmende vor allem im Spektrum fundamentalistischer Christ*innen. In den letzten Jahren nahmen auch regelmäßig Personen aus verschiedenen Spektren der extremen Rechten, u.a. der „Identitären Bewegung“, der Burschenschaft „Franconia“ und „Pflüger zu Halle“ sowie der AfD, am „1000-Kreuze-Marsch“ in Münster teil.

Karl Heinz Kramer beim „1000-Kreuze-Marsch“ 2020.

Die extreme Rechte beteiligte sich auch in diesem Jahr wieder am „1000-Kreuze-Marsch“: Im Vorfeld warb die AfD Münster öffentlich auf Twitter für den “Gebetszug” der radikalen Abtreibungsgegner*innen. Anders als in den Vorjahren nahmen aber weniger Mitglieder der extrem rechten Partei am „1000 Kreuze-Marsch'“ teil. Unter den Teilnehmenden in diesem Jahr war Karl-Heinz Kramer (siehe Foto). Ihn hatte die AfD Münster nach Verbreitung neonazistischer Inhalte zähneknirschend von der Kandidatenliste für die Kommunalwahl gestrichen, wenig später war er aber ungeachtet dessen dennoch als Aktivposten für die Partei im Kommunalwahlkampf tätig war.

Aber auch abseits der AfD sind Organisationen aus dem Spektrum der radikalen antifeministischen Abtreibungsgegner*innen in Münster aktiv.

Prof. Cullen und die „Ärzte für das Leben“

Der Münchener Verein „Euro Pro Life”, der den “1000 Kreuze-Marsch” in Münster organisiert, ist Teil eines bundesweiten Netzwerks radikaler Abtreibungsgegner*innen und Antifeminist*innen. Einer der wichtigsten Akteure in diesem ist der „Bundesverband Lebensrecht”, welcher mit dem „Marsch für das Leben” in Berlin den jährlich größten Aufmarsch sogenannter „Lebensschützer*innen” in Deutschland organisiert. Und der Verein hat beste Kontakte nach Münster: Dr. Paul Cullen, Mitglied im Vorstand des „Bundesverband Lebensrecht” und einer der führenden Köpfe dieses Vereins, lebt und arbeitet in Münster.

Ist er hier vor allem als Geschäftsführer des „MVZ Labors” und zeitweise außerordentlicher Professor an der WWU Münster bekannt, hat sich Dr. Cullen in der Szene radikaler Abtreibungsgegner*innen und Antifeminist*innen einen beträchtlichen Ruf erarbeitet. Es existieren zahlreiche Artikel, Videos, Interviews und Reden des Münsteraner Mediziners, in denen er Frauen* das Recht auf Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper und den Zugang zu einem legalen und somit sicheren Schwangerschaftsabbruch abspricht.

Cullen attackiert dabei auch oftmals feministische Ärzt*innen wie Kristina Hänel persönlich und schreckt auch nicht vor Rhetorik zurück, die man aus der extremen Rechten kennt: 2016 konstatierte Cullen auf einer Tagung, es rege sich Widerstand gegen das “polit-mediale Establishment” und die Zeit des Anpassens und Zurückweichens sei vorbei. Dr. Paul Cullen ist zudem Erster Vorsitzender des Vereins „Ärzte für das Leben”, der ebenfalls zum Netzwerk radikaler Abtreibungsgegner*innen gehört und u.a. „Fachtagungen” zum Themengebiet “Lebensschutz” organisiert.

Trotz seiner Funktion als Geschäftsführer eines der größten mit der Auswertung von Coronatests betrauten Labore des Münsterlandes erfreut sich Dr. Cullen zuletzt größerer Beliebtheit bei Gruppen, welche die Gefahren der Corona-Pandemie relativieren oder leugnen. Der Hintergrund: Dr. Cullen hat sich in einem auf der Plattform YouTube veröffentlichten Vortrag kritisch zu einem Impfstoff geäußert und die Auswirkungen der Pandemie relativiert – sehr zur Freude der extrem rechten AfD in Münster. Er wird dabei nicht müde, zu verbreiten, dass die in Impfstoffen enthaltenen Zellen teils aus Abtreibungen stammen sollen.

 „Virgilien für das Leben“

Auch abseits der jährlichen „1000-Kreuze-Märsche” organisieren fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen regelmäßig Aktionen in Münster. Unter dem Motto „Vigilien für das Leben” trifft sich regelmäßig jeweils am 22. des Monats, eine kleine Gruppe von ihnen im Münsteraner Dom, um danach mit Marienikonen und Gebeten vor einer sogenannten „Abtreibungsstätte”, wie sie es nennen, zu demonstrieren. Damit sollen Schwangere bewusst verunsichert und/oder von einem Schwangerschaftsabbruch abgebracht werden. Bei den Betroffenen erzeugt und verstärkt dies Stress und kann (re)traumatisierend wirken.

Klaus Hengstebeck (l.) bei einem „1000-Kreuze-Marsch“

Den Abschluss der monatlichen „Vigilien”, an denen meist zwischen 3 und 8 Personen höheren Alters teilnehmen, bilden dann weitere Gebete am Grab von Kardinal van Galen und im Dom, teils auch unter Einsatz eigener Insignien, wie z.B. verhüllten schwarzen Kreuzen. Verantwortlich für diese Einschüchterung von Schwangeren ist in Münster Klaus Hengstebeck, regelmäßiger Teilnehmer der „1000-Kreuze-Märsche”, der in diesem Jahr auch als Ordner agierte. Hengstebeck, der in der Krummen Straße 7 in der Münsteraner Innenstadt wohnt, tritt als öffentlicher Ansprechpartner für die „Vigilien“ auf (0251 5 13 50) und koordiniert diese.