Hamm galt viele Jahre als Neonazi-Hochburg. Diesen Ruf begründete seit 2003 die „Kameradschaft Hamm“ (KSH) mit einer umfangreichen Demonstrationspolitik und zahlreichen Gewalttaten (vgl. LOTTA #43, S. 24-25). Nach ihrem Verbot im August 2012 schlossen sich die Neonazis der Partei „Die Rechte“ (DR) an, die ihnen ein Dach zur Fortsetzung ihrer Aktivitäten bot. Der aktuelle NRW-VS-Bericht bezeichnet den DR-Kreisverband Hamm nun als „deutlich weniger aktiv”. Der Inlandsgeheimdienst begründet seine Einschätzung damit, dass die DR am 3. Oktober 2016 keine Demonstration durchgeführt hat. In den Vorjahren waren bis zu 300 Neonazis zum Einheitstag in Hamm aufmarschiert. Auch 2017 fiel der Aufmarsch aus. Der DR-Funktionär und vormalige KSH-Führer Sascha Krolzig hatte im September sämtliche bereits vorliegenden Anmeldungen für die kommenden sieben Jahre zurückgezogen. Daraufhin meldete der lokale Westfälische Anzeiger: „Demo abgeblasen: Rechte Szene zieht sich aus Hamm zurück.“ Die Polizei Hamm sekundierte, es sei hinsichtlich rechter Gewalt „total ruhig“ geworden.
Tatsächlich sucht die Hammer Neonazi-Szene kaum noch die Öffentlichkeit. Website und Facebook-Auftritt der DR Hamm sind seit Monaten nicht mehr erreichbar. Der letzte Aufmarsch fand im Mai 2016 mit 50 Teilnehmenden anlässlich der Mobilisierung für den „Tag der deutschen Zukunft“ statt, er war nicht öffentlich beworben worden. Sitzungen des Stadtrats besucht der 2014 gewählte DR-Vertreter Dennis Möller zwar noch, Anträge oder Anfragen bringt er aber seit eineinhalb Jahren nicht mehr ein. Sein in die Bezirksvertretung Hamm-Herringen gewählter Bruder Jens Möller glänzt dort ebenfalls nicht durch Tatendrang. „Total ruhig“ ist es deshalb trotzdem nicht. 2016 beschmierten Unbekannte das Die Linke-Büro und eine sich im Bau befindliche Moschee in Herringen mit Hakenkreuzen und Neonazi-Parolen. Vor der Bundestagswahl wurden Wahlplakate mit Hakenkreuzen und Parolen wie „Volksverräter“ verunstaltet, Anfang November 2017 Grabsteine sowjetischer Kriegsgefangener auf dem Friedhof Hövel zerstört. Eine Woche später versammelten sich 20 Neonazis am Volkstrauertag zum üblichen „Heldengedenken“ in Ryhnern. Auch an wichtigen Aufmärschen nimmt stets eine Delegation aus Hamm teil.
„Nationales Zentrum“
Dass die Neonazis nicht weg sind, zeigte sich auch am 3. Oktober 2017, als eine Handvoll von ihnen mit Fahnen und Plakaten eine antifaschistische Demonstration provozierte. Sie standen auf dem Dach ihres „Nationalen Zentrums“ im Kentroper Weg 18. Hier verfügen die Neonazis seit 2012 über eine ehemalige Gaststätte, die szeneintern auch „Zuchthaus“ genannt wird. Mieter ist der Hammer Neonazi Tim Hauptführer. Die Bedeutung dieser zirka 200 Quadratmeter großen Räumlichkeit für die lokale Szene ist hoch. Sie dient als Versammlungs- und Veranstaltungsstätte, Lager und sicherer Rückzugsort, die nicht nur von der DR, sondern ebenso von der NPD Unna/Hamm genutzt wird. Die Veranstaltungen sollen eine rechte Erlebniswelt etablieren und den Zusammenhalt der Szene festigen. Dazu passt, dass sich die Szene betont familienfreundlich gibt. So lud man am 16. April 2017 in den Kentroper Weg zum „Ostarafeuer“ – mit Live-Musik sowie Kaffee, Kuchen und Kinderbetreuung. 2017 fanden im „Nationalen Zentrum“ neben zahlreichen Kneipenabenden und Partys mindestens vier Konzerte/Liedermacherabende statt. Immer wieder forderten Hammer AntifaschistInnen, dass der Mietvertrag mit den Neonazis beendet werden und die Stadtverwaltung alle ordnungsrechtlichen Mittel ausschöpfen möge, um das Treiben im Kentroper Weg zu unterbinden. Die Stadt kündigte zwar Prüfungen an, eingeschritten ist sie bislang aber nicht, da es sich ihrer Einschätzung nach um „Privatveranstaltungen“ handelt.
RechtsRock-Hochburg
Räumlichkeiten wie jene im Kentroper Weg, die fest in der Hand von Neonazis sind und in denen sie sicher Konzerte veranstalten können, sind in NRW eine Besonderheit. Dies hat mit dazu geführt, dass Hamm die NRW-Stadt mit den meisten Neonazi-Musikveranstaltungen wurde. Eine Zählung ergab, dass dort 2016 und 2017 insgesamt mindestens elf Musikveranstaltungen stattfanden beziehungsweise angekündigt waren. Hinweise deuten darauf hin, dass zusätzlich auch das „Verteidigt Europa“-Konzert am 18. November 2017 mit Blitzkrieg, Exzess, Germanium und Barbarossa in Hamm stattfand. Für größere Konzerte mit Bands wie Sturmwehr oder Oidoxie wird zuweilen nicht den Kentroper Weg genutzt, sondern auf Schützenheime zurückgegriffen. Anlässlich des Geburtstags von Sascha Krolzig traten im Juni 2017 die Bands Sleipnir und Smart Violence sowie die Liedermacher KS Bernd und Reichstrunkenbold auf. Krolzig bedankte sich im Anschluss bei den „Organisationen vom ‚Zuchthaus’“. Bis 2015 trat der DR-Kreisverband als Organisator der Musikveranstaltungen auf, mittlerweile werden diese ohne Veranstalter beworben. Als Kontaktperson agiert vielfach Dennis de Piccoli, ein ehemaliger KSH-Aktivist. Dass die Hammer Neonazis über gute Kontakte zu Rechtsrock-Bands verfügen, dürfte auch an den in der Stadt lebenden und in zahlreichen Bands spielenden Martin Böhne (Sleipnir, Sturmwehr, Oidoxie, Division Germania und andere) und Patrick Gerstenberger (unter anderem Smart Violence, Division Germania, Sturmwehr, Stahlgewitter) liegen (vgl. LOTTA #68, S. 29-30). Der nächste Balladenabend im „Nationalen Zentrum“ ist bereits angekündigt. Ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar 2018, sollen dort Sturmwehr und Der Knappe auftreten.
Erlebniswelt Oberliga Westfalen
Die Neonazis nutzten derweil auch die Fanszene des Fußball-Fünftligisten Hammer SpVG als Agitationsfeld. Bereits 2003 gründeten KSH-Mitglieder einen Gruppe namens Supporters Hamm, die etwa zwei Jahre lang die Spiele besuchte. Im Februar 2017 stürmten Neonazis beim Auswärtsspiel in Lippstadt den Platz und stimmten rechte Gesänge wie „SV Lippstadt, Jude, Jude, Jude“ sowie „frei, sozial und national“ an. Sie waren mit dem offiziellen Fanbus des Vereins angereist. Da die Fanszene in Hamm klein ist, konnten sich die Neonazis, die auch bei der Fangruppe Los Gamberros mitmischten, dort schnell etablieren – nicht zuletzt, weil der Verein versuchte, die Verantwortung für die Ausschreitungen im Februar auf angeblich ortsfremde und unbekannte Personen zu schieben. Erst nachdem im Oktober 2017 beim Auswärtsspiel in Lippstadt erneut rechte Symbole im Stadion gezeigt wurden und die Neonazis versucht hatten, die gegnerischen Fans zu attackieren, reagierte der Verein. Er sprach zahlreiche Stadionverbote aus. Die Los Gamberros lösten sich daraufhin auf.