Neonazis verlieren ihr „Nationales Zentrum“

Gastbeitrag – übernommen von LOTTA – antifaschistische Zeitung aus NRW

Die Neonazi-Szene im östlichen Ruhrgebiet hat den Zugriff auf eine wichtige Immobilie verloren. Nachdem das Treiben im „Nationalen Zentrum“ in Hamm seitens der Behörden viele Jahre lang weitestgehend ignoriert wurde, schloss das Bauordnungsamt am 15. Oktober 2019 das „Zuchthaus“ am Kentroper Weg 18. Vorangegangen waren zahlreiche Aktionen und eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit von Antifaschist_innen.

Der Verlust ihres „Nationalen Zentrums“ dürfte die Neonazis besonders schmerzen. Die in einem Hinterhof am Rande der Innenstadt gelegenen Räumlichkeiten entwickelten sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Veranstaltungsort für neonazistische Musikveranstaltungen in NRW. 18 Konzerte und Liedermacherabende fanden dort alleine in den Jahren 2018 und 2019 statt. Auf der Bühne standen nicht nur lokale Neonazi-Musiker wie Martin Böhne (Sleipnir, Sturmwehr), sondern auch Szenegrößen wie der vormalige Landser-Sänger Michael Regener alias Lunikoff, Hannes Ostendorf und Stefan „Ernie“ Behrens von Kategorie C sowie Ken McLellan und David Braddon von der britischen Blood & Honour-Band Brutal Attack.

Anders als beispielsweise in Thüringen oder Sachsen existieren in NRW kaum für Konzerte geeignete Immobilien, die fest in den Händen der Szene sind. Räume also, bei denen nicht die Gefahr besteht, dass aufgrund von Mietvertragskündigungen Veranstaltungen kurzfristig ausfallen. Weil sich der Vermieter nicht um das Treiben in seinem Haus scherte, bot das „Zuchthaus“ den Neonazis über Jahre Planungssicherheit. Dieses Alleinstellungsmerkmal machte die Immobilie für die Szene enorm wichtig. Ihre Bedeutung zeigte sich auch im August 2018, als das Neonazi-Festival „Rock gegen Überfremdung“ im thüringischen Themar ausfallen musste und daraufhin eine kleine Ersatzveranstaltung im „Zuchthaus“ stattfand.

Umfangreiche Nutzung

Seit 2012 nutzten Neonazis die Immobilie, die von einer Einzelperson angemietet wurde, die zu einer rechten Gruppierung namens Fraternitas Germania zählte. Als die Hammer Neonazis im August 2012 im Zuge des Verbots der Kameradschaft Hamm ihr „Nationales Zentrum“ an der Werler Straße verloren, fanden sie am Kentroper Weg Unterschlupf und brachten die Immobilie nach kurzer Zeit unter ihre Kontrolle.

Dies geschah nicht im Verborgenen. Bereits im Februar 2013 wies die Antifa Hamm in einer Pressemitteilung auf die Nutzung der Räume durch Neonazis der verbotenen „Kameradschaft“ hin, die sich mittlerweile in einem Kreisverband der Die Rechte reorganisiert hatten. Die Rechte nutzte die szeneintern als „local racist pub“ beworbenen Räume für Versammlungen und Schulungen sowie für Feiern. Einmal fand dort sogar eine neonazistische „Singleparty“ statt. Auch der NPD-Kreisverband Unna/Hamm lud zu Vorträgen in das „Zuchthaus“. So sprach dort 2014 der bekannte Holocaust-Leugner Ernst Zündel.

Regelmäßig nutzten auch die Skinheads Südwestfalen (SWW) die Räume, um dort Konzerte zu veranstalten. Bei den SSW handelt es sich um eine Struktur, die seit etwa 2015 in Erscheinung tritt. Tauchten zunächst Symbole und T-Shirts im Umfeld der RechtsRock-Band Smart Violence (vgl. LOTTA # 66, S. 16 f.) auf, festigte sich unter dem Label Skinheads Südwestfalen in den Regionen um Iserlohn (Märkischer Kreis), Schwerte (Kreis Unna) und Olpe (Kreis Olpe) eine neonazistische Skinhead-Clique. Die SSW inszenieren sich vom Auftreten und ihrer „One Family — One Brotherhood“-Rhetorik her als eine neonazistische Skinhead-„Bruderschaft“. So verwundert es nicht, dass sich bei zentralen SSW-Protagonisten sowohl Verbindungen in das Netzwerk der elitären Hammerskins als auch zur süddeutschen Neonazi-Gruppe Voice of Anger (VoA) finden lassen. VoA war in der Vergangenheit bereits in die Organisation von RechtsRock-Konzerten im „Zuchthaus“ involviert. (vgl. LOTTA #75, S. 34—35)

Jahre der Ignoranz

Antifaschist_innen aus Hamm versuchten über Jahre mit Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen ein Bewusstsein für die Bedeutung des „Zuchthauses“ zu schaffen. Dabei appellierten sie an die Stadtverwaltung, alle ordnungs- und baurechtlichen Mittel zu nutzen, um die dortigen Veranstaltungen zu verhindern. Über Jahre passierte dennoch nichts. Mit Ignoranz begegnete auch der NRW-Verfassungsschutz dem Problem. Erstmals informierte der Geheimdienst im 2019 veröffentlichten „Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018“ über eine regelmäßig in Hamm genutzte Immobilie, nachdem das NRW-Innenministerium schon in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Landtag die Existenz einer solchen Immobilie in Hamm eingestanden hatte. In der zwei Monate zuvor veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag war die Immobilie noch nicht erwähnt worden. Die absurde Begründung: Es hätten keine Informationen aus offenen Quellen vorgelegen, und Persönlichkeitsrechte des Eigentümers müssten gewahrt bleiben.

Erst 2019 tat sich dann endlich etwas. Hamms Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann erklärte, die Stadt habe leider erfolglos versucht, das Gebäude zu kaufen. Im Vorfeld eines als „Sommerfest“ bezeichneten Konzerts mit den Bands Snöfrid (Schweden), Blutlinie und Sturmwehr sicherten Antifaschist_innen den öffentlich verbreiteten Flyer, der eine „Privatveranstaltung“ mit 20 Euro Eintritt (inklusive Spanferkelessen) bewarb.

Daraufhin erließ die Stadtverwaltung eine Verbotsverfügung, die dem Eigentümer die Nutzung als Veranstaltungsraum untersagte und ein Ordnungsgeld androhte. Am Veranstaltungstag zeigten sich die Neonazis davon aber ungerührt. Am Nachmittag reisten sie von nah und fern an. Die Rechte twitterte Fotos von den Bands und dem Spanferkel. Zum Erstaunen der vor Ort protestierenden Antifaschist_innen blieben die anwesenden Vertreter_innen des Ordnungsamtes und der Polizei vor dem Tor, das von den Skinheads Südwestfalen um den aus Iserlohn stammenden Jörn Kaiser in Montur der Gruppe Voice of Anger bewacht wurde. Die Verantwortlichen erklärten, man habe keine rechtliche Handhabe gesehen, das Gelände zu betreten.

Nutzung untersagt

Die Empörung über das tatenlose Zuschauen war daraufhin groß. Es folgten Anfragen im Stadtrat und im Landtag. Hunsterger-Petermann kündigte einige Wochen später gegenüber dem WDR an, in Kürze werde das „Zuchthaus“ geschlossen. Eine Ortsbegehung am 15. Oktober ergab, dass an den Räumen illegale Umbaumaßnahmen vorgenommen worden waren. Neben brandschutzrechtlichen Problemen zeigte sich, dass der aktuelle Zustand der Räume nicht mit der ursprünglichen Baugenehmigung als Werkstatt in Einklang zu bringen war. Die Nutzungserlaubnis wurde deshalb entzogen.

Der Eigentümer kann Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen, es sieht aber danach aus, als bliebe das „Zuchthaus“ bis auf Weiteres geschlossen. Der Rat der Stadt Hamm beschloss am 10. Dezember einen neuen Bebauungsplan für den Bereich des Kentroper Wegs. Aufgrund des Bedarfs an innenstadtnahem Wohnraum soll in dem Gebiet kein neues Gewerbe mehr angesiedelt werden.