Ein Gastbeitrag der Antifaschistischen Linken Münster. Das Original als PDF gibt es hier.
Am 12. März 2011 wollen christliche Fundamentalist_innen und so genannte Lebensschützer einen Demonstrationszug in Münster durchführen. Dieser Zug unter dem Motto „1000 Kreuze für dasLeben“ war in den vergangenen zwei Jahren von großem Protest begleitet worden. Im Folgenden wollen wir einen Einblick in das Netzwerk radikaler Abtreibungsgegner_innen im Münsterland geben.
Die Ideologie der „Lebensschützer“
Das Spektrum der so genannten Lebensschützer rekrutiertsich vor allem aus den fundamentalistischen Strömungen der christlichen Kirchen, sowohl des Katholizismus als auch des Protestantismus. Ihnen gemeinsam ist eine strenge, teils wortwörtliche, Auslegung der Bibel und daraus abgeleitete gesellschaftspolitische Positionen, die sich gegen Emanzipation und Moderne richten. Ihnen entgegen wird die Forderung einer „gottgewollten Ordnung“ mit rigiden Moralvorstellungen gestellt. Individuelle Freiheiten in der Lebensführung sollen beschnitten werden. Alle christlichen Fundamentalist_innen vertreten äußerst konservative Vorstellungen zu Themen wie Ehe, Familie und Sexualität. Schwangerschaftsabbrüche, die grundsätzlich abgelehnt und als „Morde“ verurteilt werden, sind zu einem wichtigen Agitationsthema geworden, das evangelikale wie katholische Fundamentalist_innen auch in gemeinsamenAktionen eint.
Die „1000 Kreuze“-Märsche sind Beispiele für öffentlichkeitswirksame Aktionen dieses politischen Spektrums, bei denen die Form einer politischen Demonstration mit Elementen christlicher Liturgie und Symbolik verbunden wird. Die mitgeführten weißenHolzkreuze sollen „ermordete Kinder“ symbolisieren. Denn es würden, so die Propaganda der „Lebensschützer“, jeden Werktag „1000 Kinder“ in Deutschland per Abtreibung ermordet.
Der moralisch schwerwiegende Vorwurf des Mordes soll Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich delegitimieren. Unter Rückgriff auf theologische Interpretationen gilt schon die befruchtete Eizelleals „beseelt“ und folglich als „Kind“ oder „Geschöpf Gottes“, so dass jeder Schwangerschaftsabbruch als „Mord“ verurteilt wird. Auch medikamentöse Verhütungsmittel wie die „Pille danach“ werden verurteilt. Große Teile des „Lebensschützer“-Spektrums lehnen sogar die Verwendung von Verhütungsmitteln wie Kondomen entschieden ab. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper gilt Fundamentalist_innen als „Irrlehre“ des von ihnen verteufelten Feminismus.
Der Feminismus ist einer ihrer Hauptgegner, schließlich werfen sie der Frauenbewegung vor, nicht nur Schwangerschaftsabbrüche gesellschaftsfähig gemacht zu haben, sondern die Frauen auch von ihrer „natürlichen Rolle“ als Mutter entfremdet zuhaben. Diese rigide Sexualmoral geht einher mit der Ablehnung von vorehelichem Geschlechtsverkehr und von Homosexualität.
Der Veranstalter: EuroProLife
Offizieller Veranstalter der Demonstration am 12. März ist die Organisation EuroProLife, eine 2007 gegründete Organisation, die sich als „überkonfessionelle, christliche Lebensschutzbewegung für Europa“ versteht. Nach eigenen Angaben umfasst dieses Netzwerk inzwischen europäische Nationen“. An anderer Stelle wird von „Vertretern von 15 Lebenschutzorganisationen“ gesprochen, die sich als EuroProLife zusammen geschlossen hätten. Im Präsidium der Organisation sitzen allerdings nur Süd-deutsche. Vorsitzender ist der Münchener Wolfgang Hering, der erst spät zu einer fundamentalistischen Überzeugung gefunden hat und nach eigenen Angaben hauptberuflich als „Lebensschützer“ in München arbeitet.
Als Vorbild für seine Organisation nennt er die us-amerikanische ProLife-Bewegung, deren Methoden wie die „Gehsteigberatung“ er in Deutschland eingeführt haben will. „Gehsteigberatung“ bedeutet, dass sich Aktivist_innen vor Kliniken und Arztpraxen versammeln und versuchen, Patientinnen von einem Schwangerschaftsabbruch abzubringen. Auch in Münster wurden solche „Mahnwachen“ und „Beratungen“ durchgeführt. Schwangere Frauen werden dabei mit Sätzen wie „Bitte, Mama, lass dein Kind leben“ unter Druck gesetzt. In den USA wird die Auseinandersetzung um Schwanger-schaftsabbrüche auch mit gewalttätigen Mitteln geführt: Seit den frühen 1980er Jahren verübten ProLife-Sympa-thisant_innen dort regelmäßig Sprengstoff- und Mordanschläge gegen Ärzt_innen und Kliniken, die Schwanger-schaftsabbrüche
„damals KZ ́s – heute OP`s“?
In den vergangenen Jahren reisten Teilnehmende aus dem gesamten Bundesgebiet zum Marsch nach Münster, unter ihnen auch Aktive verschiedenster fundamentalistischer Gruppen. So war Klaus Günter Annen von der Initiative Nie wieder! e.V. ein gern gesehener Gast der Veranstaltung. Annen betreibt die Internetseite babycaust.de und hält Schwangerschaftsabbrüche für schlimmere Verbrechen als den industriellen Massenmord der Nazis.
In einem Interview mit dem Internetportal MuslimMarkt führte Annen aus: „Seit Ende des 2. Weltkrieges haben wir alleine in Deutschland die Ermordung von mindestens 9 Millionen ungeborener Menschen zu verantworten. Weltweit werden jährlich ca. 60-80 Millionen ungeborene Menschen ermordet. Angesichts solcher Zahlen kann man sich schon die Frage stellen: Was war da der Holocaust? Der „Babycaust“ ist viel schlimmer und heimtückischer, weil es diesmal die wehrlosesten und unschuldigstenMenschen trifft, die ungeborenen Kinder! Wir sprechenvon einem christlichen Deutschland, einer christlichen Regierung oder von christlichen Staaten, die heute nochviel schlimmer als Hitler sind!“ Auch andere Abtreibungsgegner_innen benutzen die Relativierung des Holocaust in ihrer Propaganda.
KOMM-MIT-Verlag/Christoferuswerk
Die älteste katholisch-fundamentalistische Organisationin Münster ist der KOMM-MIT-Verlag, der seit 1948 einen gleichnamigen Taschenkalender und eine Monatszeitschrift für Jugendliche herausgab. Bis zu seinem Tod 2002 wurde der Verlag von Günter Stiff geführt. Zeitschrift und Kalender stellten ihr Erscheinen kurz nach StiffsTod ein. Seine langjährige politische Gefährtin Felizitas Küble führte die Verlagsgeschäfte fort.
1994 stand der Kalender massiv in der öffentlichen Kritik: Nicht nur, dass dort für eine rigide Sexualmoral, gegen Schwangerschaftsabbrüche, gegen Einwanderung und für ein Deutschland agitiert wurde, das „größer als die Bundesrepublik“ sei. Im Adressteil fand sich auchWerbung für Zeitschriften wie die Junge Freiheit (JF) oder Nation & Europa sowie für extrem rechte Organisationen wie die Union für Südtirol oder die Deutschen Konservativen. Nach der Affäre führten die Herausgeber_innen einige der beanstandeten Gruppierungen nicht mehr im Kalender auf, von ihnen distanzieren wollten sie sich aber nicht.
Rückendeckung erhielten sie von Kirchenoberen wie dem verstorbenen Erzbischof Johannes Dyba (Fulda) oder von der damaligen Bundesfrauenministerin Claudia Nolte (CDU). Küble selbst schreibt immer wieder für extrem rechte Publikationen, etwa seit 1997 für die Junge Freiheit. Eng mit dem KOMM-Mit-Verlag verbunden ist der Verein Christoferuswerk e.V., der 1971 als „Aktionsgemeinschaft katholischer und evangelischer Christen“ gegründet wurde und als Vereinszweck „christliche Öffentlichkeitsarbeit“ angibt. Erste Vorsitzende des Vereins ist Küble.
Parteipolitisch waren Küble und Stiff lange Jahre in der Zentrumspartei organisiert, in deren Bundesvorstand sie saßen. Die Zentrumspartei löste sich 1987 auf. Teile derPartei machten ohne Stiff und Küble als Partei Christliche Mitte weiter.
Kardinal-von-Galen-Kreis
Dort, wo Lobbyarbeit und öffentlicher Druck nicht wirken, wählen „Lebensschützer“ den juristischen Weg. Heribert Börger, ein Weggefährte von Stiff aus Zentrums-Tagen und langjähriger Mitarbeiter des KOMM-MIT-Verlags, klagte 1976/77 beim Bundesverfassungsgericht gegen die Kassenfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen. 1984 zeigte er die Gewerkschaft ÖTV an, weil sie die Streichung des §218 StGB gefordert hatte.
Börger war viele Jahre Leiter des Kardinal-von-Galen-Kreisbzw. des Vorläufervereins Initiativkreis Münster e.V. Der Verein mit Postfach in Stadtlohn ist Mitglied im Forum Deutscher Katholiken, einer Laien-Organisation, die sich dem Kampf gegen progressive Kräfte in „persönlicher Umkehr, in geistlicher Erneuerung, im Glaubensgehorsam und in der Loyalität gegenüber dem Hl. Vater“ verschrieben hat. Erster Vorsitzender des Kardinal-von-Galen-Kreises ist Reinhard Dörner aus Gescher, der 2008 im Verlag des Kardinal-von-Galen-Kreises ein Buch üChristdemokraten für das Leben (CDL)ber den „Skandal von St. Pölten“ veröffentlichte. Das österreichische Priesterseminar war 2004 in die Schlagzeilen geraten, als die Polizei dort mehrere tausend pornografische Filme und Fotos gefunden hatte, die auch sexuellen Missbrauch von Kindern und homosexuelle Handlungen zwischen Seminarteilnehmern und Vorgesetzten zeigten. Dörner sieht in dem Fall bloß eine Intrige innerkirchlicher Kreise gegen einen konservativen Bischof wie Kurt Krenn, der imZuge der Affäre seinen Hut nehmen musste.
Marianische Liga
Reinhard Dörners Frau Gertrud ist die erste Vorsitzende eines weiteren Vereins katholischer Fundamentalist_innen: der Marianischen Liga. Die 1997 gegründete Organisation richtet sich an katholische Frauen, die bemerkt hätten, „dass ein lautstarker Feminismus, das Strebennach Weiheämtern und die Dauerkritik am Papst und amkirchlichen Lehramt völlig überholt“ seien. Innerhalb der Kirche will sie „Erneuerungsbewegung“ sein. Erneuerung meint hier: zurück zu der traditionellen Rolle der Frau als Mutter und Kampf gegen jegliche Emanzipationsbestrebungen, egal ob inner- oder außerhalb der Kirche. Natürlich hat sich auch die Marianische Liga den „Lebensschutz“ auf die Fahnen
Christdemokraten für das Leben (CDL)
Mit den Christdemokraten für das LebeChristdemokraten für das Leben (CDL) verfügt die „Lebensschützer“-Szene über eine mächtige Pressure-Group, deren Lobbyarbeit die Gesetzgebungsverfahren und die öffentliche Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche beeinflusst. Die CDL ist eine anerkannte „Sonderorganisation“ der CDU, die fest in der Partei verankert ist. Das CDL-Vorstandsmitglied Hubert Hüppe war während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission „Ethik undRecht der modernen Medizin“.
Die Verankerung der CDL in der Union zeigte sich auch beim „Deutschlandtag“ der Jungen Union (JU) 2009 in Münster. Beim Bundeskongress der CDU-Jugendorganisation stellten neben der CDL auch Organisationen wie Aktion Leben e.V. und Aktion Lebensrecht für Alle e.V. ihre Arbeit vor. Neben Geschmacklosigkeiten wie kleinen Plastikföten lagen dort Broschüren der rechtskonservativen Publizistin Gabriele Kuby oder Texte, in denen jede Form der Verhütung als mit dem christlichen Glauben unvereinbar bezeichnet wird, aus. Verbindungen haben die Christdemokraten für das Leben nicht nur innerhalb der Unionsparteien, ebenso werden Kontakte in das sich jenseits von CDU/CSU organisierende, rechtskonservative und deutschnationale Milieu gepflegt. Sowohl die CDL-Bundesvorsitzende Mechthild Löhr als auch die Vorsitzende der CDL Münster, Odila Carbanje, schrieben mehrfach für die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit. Die Bundesgeschäftsstelle der Christdemokraten für das Leben hat ihren Sitz in Münster.
Neonazis und NPD
Im letzten Jahr nahm eine Gruppe von Neonazis, unter ihnen der damalige Bezirksbeauftragte der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten, am „1000-Kreuze“-Marsch teil. Die Versammlungsleitung verwies sie nicht von der Demonstration. Im Anschluss versuchte sich Wolfgang Hering von den Neonazis zu distanzieren. Bereits 2008 beteiligten sich Mitglieder des lokalen NPD-Ableger Bürgerinitiative Ausländerstopp und der Freien Nationalisten an einem „1000-Kreuze“-Marsch in München.
Die Teilnahme der Neonazis erklärt sich allerdings nicht nur aus der geteilten Feindschaft zum Feminismus und aus einem reaktionären Frauen- und Familienbild. „Lebensschützer“ und Neonazis sorgen sich beide um den Fortbestand Europas. „Als einziger Kontinent liegt Europa mit einer Geburtenrate von nur 1,5 weit unter dem für die Selbsterhaltung eines Volkes nötigen Min-destwert von 2,1! Alle anderen Kontinente liegen zumTeil weit über dem Wert“, heißt es bei EuroProLife. Die Freien Nationalisten München befürchten wegen derSchwangerschaftsabbrüche eine „negative demografische Entwicklung in unserem Land“, während sich „seit Jahren“ eine beträchtliche „Gebärfähigkeit gerade ausländischer Familien feststellen“ ließe.
Neonazis verzichten auf eine religiöse Legitimation ihrer ablehnenden Haltung. Die bevölkerungspolitische Argumentation der christlichen Fundamentalist_innen ist aber anschlussfähig an ihre rassistischen Wahn-Ideen von „Umvolkung“, „Volkstod“ und „Überfremdung“. Sie lehnen Schwangerschaftsabbrüche ab, weil sie den „deutschen Volkskörper“ schwächten.
Bistum Münster
Die Verantwortlichen des Bistums sind im letzten Jahr auf Distanz zu EuroProLife gegangen. Am Rande des „1000 Kreuze“-Marsches 2009 stellte Weihbischof Franz-Josef Overbeck klar, dass die Demonstration keine Veranstaltung des Bistums Münster sei. Zwar unterstütze die Kirche „alles, was dem Leben dient, wenn Menschen für das Leben beten.“ In Richtung der Veranstalter sagte er: „Aber alles, was extrem ist, ist nicht gut.“
Das rechtskatholische Internetportal kreuz.net bewertete die Äußerungen des Weihbischofs als „erwartungsgemäß“ für die in ihren Augen „von Kirchenfeinden unterwanderte katholische Amtshierarchie“. Heftige Worte fand das Internetportal auch für die protestierenden Feminist_innen, die als „gewaltbereite Todesbrigade“ und „Extremistische Kämpfer für Kinderabschlachtungen“ bezeichnet wurden.
Im Jahr 2010 verweigerte das Bistum den Fundamentalist_innen erstmals dieNutzung einer Kirche für den Auftaktgottesdienst des „1000 Kreuze“-Marsches.