„Eine Burschenschaft – liberal? Ja“ – Mit diesen Worten charakterisiert sich die „Burschenschaft der Pflüger Halle zu Münster“ auf ihrer Internetseite selbst. Die nicht mehr dem Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ angehörende Studentenverbindung versteht sich als „politisch unabhängig“. Doch seit einigen Jahren zeigt sich eine deutliche Nähe der Pflüger zur AfD. Als pflichtschlagende Verbindung unterhält sie zudem enge Kontakte zur extrem rechten „Münsteraner Burschenschaft Franconia“. Beide Burschenschaften sind Teil des Münsteraner Waffenrings. Und nicht nur die Franconen haben Mitglieder, die aus der Neonazi-Szene stammen (wir berichteten). Auch mindestens ein Bursche der Pflüger weist eine solche Biografie auf.
Gegründet wurde die „Burschenschaft der Pflüger“ unter einem anderen Namen ursprünglich 1843 in Halle an der Saale. Aus dieser Anfangszeit stammen auch ihre Farben violett, weiß und gold. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie 1949 in Münster wieder gegründet, da in der DDR Burschenschaften verboten waren. Seit 1962 besitzt die Burschenschaft ein Haus in der Gertrudenstraße 31 im Kreuzviertel. Im Juni 1996 traten die Pflüger aus dem Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) aus. Voran gegangen waren heftige Auseinandersetzungen um den politischen Kurs der DB und der Austritt von acht so genannten liberalen DB-Bünden, die im Januar 1996 die „Neue Deutschen Burschenschaft“ (NDB) gründeten. In den Folgejahren gewannen die extrem rechten Kräfte in der DB immer stärkeren Einfluss auf den Verband, weitere interne Auseinandersetzungen und Austritte folgten. Die Pflüger traten der NDB nicht bei, sie gehören keinem der großen Burschenschafts-Dachverbänden an und verstehen sich selbst als unabhängig. Seit 1906 ist die „Burschenschaft der Pflüger Halle zu Münster“ Mitglied des Roten Verbandes, eines „Arbeits- und Freundschaftskartell von sechs deutschen Burschenschaften arministischer Prägung“. Arminismus ist im Gegensatz zum Germanismus laut Aussagen aus dem korporierten Kreisen die liberalere burschenschaftliche Ausprägung, bei dem der Schwerpunkt weniger auf der „politische[n] Linie, [als] auf einer Förderung ‚der Ehre, der edlen Sitte und des Mannesmutes‘, einer Verinnerlichung des burschenschaftlichen Leben“ liegt.
AfD-Politiker sprechen bei den Burschen
Obwohl die Pflüger eine pflichtschlagende Verbindung blieben, wurden sie von Kritiker*innen lange Zeit wenig beachtet – nicht zuletzt da sie kaum politische Ambitionen zeigten. Dies änderte sich mit Gründung der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Wenige Monate nach der Parteigründung der AfD sprach am 28. Juni 2013 erstmals ein AfD-Politiker auf dem Pflug, wie das Burschenhaus genannt wird. Martin Renner, einer der AfD-Gründer aus Nordrhein-Westfalen, referierte auf Einladung der Pflüger zum Thema „Die Finanzmarktkrise – eine kritische Analyse“. Renner zählt seit jeher zu den Rechtsaußen-Kräften in der AfD, die die Partei in Richtung völkischen Nationalismus trimmten.
Im Mai 2016 stellte an gleicher Stelle Ulrich van Suntum, die AfD-Abspaltung ALFA vor. Der an der Uni Münster lehrende Ökonomieprofessor van Suntum war dem ehemaligen AfD-Sprecher Bernd Lucke in die neu gegründete Partei gefolgt, die mittlerweile in LKR umbenannt und in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Die Pflüger boten der AfD-Abspaltung zwar eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung auf ihrem Haus, in der Folgezeit orientierten sie sich aber an der AfD. Es folgten weitere Veranstaltungen mit AfD-nahen Akteuren.
So sprach 2017 der „Russia Today“-Journalist Thomas Fasbender zu „Fünf Jahre Russlandsanktionen – zur Notwendigkeit einer neuen Ostpolitik“, wozu er im Mai 2019 erneut eingeladen wurde. Fasbender trat mehrfach bei der AfD als Redner auf und ist auf Linie mit der AfD-Russlandpolitik. Er ist Autor von „eigentümlich frei“ und von „Cato“. Beide Publikationen gehören zum Spektrum der „Neuen Rechten“, wobei „eigentümlich frei“ insbesondere durch marktradikale Positionen auffällt. „Cato“ wird herausgegeben von Karlheinz Weißmann, einem der führenden Theoretiker der „Neuen Rechten“ in Deutschland, der 2018 auf Einladung der AfD auch in Münster referierte. Fasbenders Russland-Buch erschien im Grevenbroicher Verlag von Natalie Lichtschlag, der Ehefrau des „eigentümlich frei“-Herausgebers André F. Lichtschlag. Die inhaltlichen Positionierungen in Verbindung mit der Wahl der Organisations- und Publikationsformen machen erneut die fließende Grenze zwischen neoliberalem Marktradikalismus und rechtem Rand deutlich.
Im Dezember 2017 war dann erneut ein AfD-Spitzenpolitiker zu Gast auf dem „Pflug“, wie das Verbindungshaus genannt wird: Guido Reil, Europa-Spitzenkandidat der AfD, erzählte von seinen Erfahrungen als Politiker. Die AfD vermarktet den ehemaligen Bergmann und SPD-Politiker aus Essen als Arbeiter und Kumpel von nebenan. Auf einem Foto der Veranstaltung, welches über den Facebook-Kanal der Pflüger veröffentlicht wurde, ist im Kreise der Aktivitas Alexander Leschik zu sehen. Hier zeigt sich, dass die Verbindungen zwischen AfD und Pflügern enger sind und über die Einladung von AfD-Politikern als Referenten hinausgehen.
Guido Reil (AfD) im Kreise der Pflüger. Links von Reil: Alexander Leschik. Rechts von Reil: Titus Teichmann
„Herzkammer“ der AfD?
Leschik war vor allem als Aktivist der „Jungen Alternative Münster“ (JA), der Jugendorganisation der AfD, bekannt. Nachdem er im Februar 2018 noch als Beisitzer in den Bundesvorstand der JA gewählt wurde, verließ er den Verband, als bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz die Beobachtung einzelner Verbände plant. Seit Juni 2017 ist Leschik zudem stellvertretender Kreissprecher der AfD Münster. Auf dem Foto der Veranstaltung trägt er das Band eines Conkneipanten. Conkneipanten werden als außerordentliche Mitglieder von Burschenschaften oder Studentenverbindungen, die die formalen Aufnahmekriterien nicht erfüllen, eher selten aufgenommen. Dass Leschik, der zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch Schüler war, bereits als Conkneipant mitwirken durfte, lässt auf seine enge Bindung der Burschenschaft schließen. Mittlerweile studiert Alexander Leschik Jura in Münster und ist seit Oktober 2018 Fux der Burschenschaft der Pflüger Halle zu Münster.
Ebenfalls bei der Veranstaltung anwesend war Marcel Winkin, bis 2018 Leiter der Ortsgruppe Münsterland der „Identitären Bewegung“. Dass Leschik und Winkin darüber hinaus miteinander bekannt sind, lässt sich auf einem Foto erkennen, auf dem beide gemeinsam mit Frauke Petry von der AfD abgelichtet sind.
Winkin postete im Nachgang der Veranstaltung mit Reil ein Foto mit ihm auf Facebook. Es löste als Profilbild sein gemeinsames Foto mit Martin Sellner, Kopf der „Identitären Bewegung“ aus Österreich, ab. Mittlerweile sind beide Bilder offline. Unter dem Bild mit Reil kommt die Frage nach dem Verbindungshaus der Veranstaltung auf. Winkin antwortet „bei den Pflügern in Münster“, woraufhin ein weiterer kommentiert, „aus der Herzkammer!“.
Im Winter 2018 besuchte auch der rechte Publizist Matthias Matussek das Haus der Pflüger Halle. Er bezeichnet sich selbst als „Sympathisant der Identitären Bewegung“. Matussek schreibt regelmäßig für den (mittlerweile eingestellten) „Deutschland-Kurier“, einer Gratiszeitung, die Propaganda für die AfD machte und die im Zentrum der aktuellen AfD-Spendenaffäre steht, da es sich bei dem Heft möglicherweise um unzulässige Wahlkampfunterstützung handelte.
Alte Herren und die AfD
Redet man von der Burschenschaft der Pflüger Halle zu Münster und ihrer Verbindung zur AfD, dürfen auch die Alten Herren nicht aus dem Blick geraten. Wie jede Verbindung und Burschenschaft pflegen die Pflüger regen Austausch mit der älteren Generation. Pro Semester sind gemeinsame Veranstaltungen wie Golfen, Zigarrenseminare, Abendessen oder Vorträge geplant. Wer die Diskussionen zwischen den „Alten Herren“ und Aktiven der Burschenschaft in den sozialen Netzwerken verfolgt, der findet zwar auch kritische Stimmen gegenüber der AfD; viele der engagierten „Alten Herren“ scheinen aber große Sympathien für die Rechtspartei zu haben.
Auch unter den Alten Herren gibt es aktive AfD-Funktionäre. So war Florian Elixmann ab 2016 zeitweise Vorstandsmitglied des AfD KV Steinfurt. Ein anderer Alter Herr, Jannis Otto, betätigte sich im Duisburger AfD-Kreisverband. Otto war auch Mitglied in einer nicht-öffentlichen Facebook-Gruppe namens „Korporierte in der AfD“. In der Gruppe sammelten sich vor allem Burschenschafter und auch einige Angehörige anderer Studentenverbindungen. Man tauschte sich aus, wessen Verbindungsbrüder ebenfalls der AfD angehörten. Wer als vertrauenswürdig galt, wurde als Mitglied der geheimen Facebook-Gruppe vorgeschlagen, so auch am 21. Juni 2015 Florian Elixmann durch Janis Otto. 2018 wurde aus diesem Kreise eine eigene AfD-Unterorganisation namens „Akademikerverband“ gegründet.
Titus Teichmann, der Bursche mit der Nazi-Biografie
Die Pflüger wollen als liberal verstanden werden und so schreiben sie in ihrem Selbstverständnis: „Das bedeutet, dass wir unsere Mitglieder zwar politisch bilden wollen, dem Einzelnen aber seine politische Meinung überlassen“. Das tolerierte politische Spektrum öffnet sich aber vor allem nach rechts; selbst Neonazi-Biografien von aktiven Burschen sind offenbar kein Problem. Ein Beispiel dafür ist Titus Teichmann, der im Wintersemester 18/19 noch das Amt des Conseniors innehielt. Bevor Teichmann nach Münster kam, ist er bereits extrem rechten Burschenschaft Rheinfranken zu Marburg beigetreten. Dem Lebensbund-Prinzip folgend ist er weiterhin Mitglied der Rheinfranken und sein Kontakt nach Marburg ist nach dem Umzug nach Münster nicht abgebrochen.
Die Marburger Burschenschaft Rheinfranken ist – genauso wie ihre Nachbarburschenschaft Germania – für ihre hohe Anziehungskraft auf Neonazis bekannt. Passend dazu empfahl beispielsweise der NPD-Funktionär und Burschenschafter Jürgen W. Gansel Studenten, die in Marburg studierten, sich den Rheinfranken anzuschließen. Dort war Teichman als Leibbursche unter anderem zuständig für den Fux Lars Roth, der gut in der militanten deutschen Neonazi-Szene vernetzt ist und selbst 2015 und 2016 bei der Organisation des Rechtsrockkonzerts „Rock für Identität“ beteiligt war. Teichmann selbst nahm 2013 an einem Naziaufmarsch im niedersächsischen Kirchweyhe teil.
Auch andere Burschen der Pflüger kommentieren Beiträge der Rheinfranken, auf privaten Facebookaccounts werden Bilder fleißig gegenseitig geliked. Besonders häufige Interaktionen gibt es mit Bastian Löhr. Vor seiner Zeit als Rheinfranke war Bastian Löhr Kader der gewalttätigen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Unna“ (später umbenannt in: „Freies Netz Unna“). Er nahm an zahlreichen Neonaziaufmärschen teil und wurde wegen Hakenkreuzschmierereien zu Sozialstunden verurteilt. Als das NRW-Innenministerium 2012 den „Nationalen Widerstand Dortmund“ verbot, wurde auch Löhr eine Verbotsverfügung zugestellt.
Das burschenschaftliche Netzwerk
Die Pflüger sind zwar nicht in der „Deutschen Burschenschaft“ (DB) organisiert, pflegen aber Kontakt zu zahlreichen Burschenschaften, die der DB angehören. Im Februar 2019 waren sie zusammen mit der „Münsteraner Burschenschaft Franconia“, der „Burschenschaft Arkadia Mittweida zu Osnabrück“ sowie weiteren Bünden bei der Bielefelder „Burschenschaft Normannia-Nibelungen“ zur Semesterabschlusskneipe eingeladen. Diese hätte sich keinen „besseren Abschluss für das Wintersemester“ vorstellen können. Die Bielefelder „Burschenschaft Normannia-Nibelungen“ ist ein Knotenpunkt extrem rechter Organisation und Agitation. Zu ihrer jährlichen „Bielefelder Ideenwerkstatt“ lädt sie Politiker und Theoretiker der extremen Rechten ein, 2017 sprachen beispielsweise Martin Sellner, Kopf der „Identitären Bewegung“.
Auch wenn nicht gemeinsam in der DB organisiert, besteht reger Kontakt zwischen der „Burschenschaft der Pflüger Halle zu Münster“ und der „Münsteraner Burschenschaft Franconia“. So sind sie beide Mitglieder des Münsteraner Waffenrings. Neben den gemeinsamen Mensuren werden jedoch auch andere als „männlich“ verstandene Rituale gepflegt. So fanden sich die beiden Burschenschaften zum Beispiel gemeinsam mit der „Jagdverbindung AJV Hermann Löns“ zum Zigarrenrauchen zusammen.
Am Volkstrauertag 2018 legten die Burschenschaften wiederholt gemeinsam Kränze am Dreizehnerdenkmal nieder. Die Stadt Münster entschloss sich 2016 keine offiziellen Gedenkveranstaltungen mehr am Dreizehnerdenkmal stattfinden zu lassen, da auf dem Denkmal der Spruch „Treue um Treue“ zu finden ist. Dieser war von der Bundeswehr verboten worden, da er von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verwendet worden war. Dass die beiden Burschenschaften dennoch das Dreizehnerdenkmal zielstrebig aufsuchen spricht für sich – ebenso wie die Würdigung, welche den Kranz der Franconen zierte: „Niemals vergeht der Toten Tatenruhm“.
Liberal = deutschnational?
Grundsätzlich besitzt die AfD eine große Anziehungskraft für Burschenschafter. Joachim Paul, Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn und für die AfD im Landtag Rheinland-Pfalz, erklärte in einem Interview mit den „Burschenschaftlichen Blättern“, dass die AfD „doch längst erste Wahl [sei], weil man sich gerade in der ‹Jungen Alternative› einbringen kann, ohne seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Studentenverbindung verleugnen oder herunterspielen zu müssen.“
Gleichzeitig bedeuteten die Einzüge der AfD in Land- und Bundestage Jobs für viele Korporierte. Auch viele Burschenschafter der Pflüger haben sich der AfD stark angenähert. Dass die Burschenschaft der Pflüger Halle zu Münster AfDler und sogar Burschen mit Nazibiografie in den eigenen Reihen mit offenen Armen empfängt und mit den oben genannten Burschenschaften verkehrt, zeigt die Vernetzung der Korporation in die neue und radikale Rechte auf. Hier offenbart sicg die Absurdität einer Selbstbezeichnung als „liberal“, wenn AfD-Positionen mit Stringenz vertreten, Freundschaften mit Identitären gepflegt und nazistische Verbindungen toleriert werden.