Kein Wahlrecht für „Transferempfänger“ – Markus Krall soll beim Hayek-Club sprechen

Ein Gastbeitrag der Antifaschistischen Linken Münster
(Update: 16.3.2020)

Am 19. März soll auf Einladung des Hayek-Clubs Münsterland Markus Krall über nichts Geringeres als eine „Bürgerliche Revolution“ sprechen. Eine solche fordert der Geschäftsführer von „Degussa Goldhandel“, dem größten bankenunabhängigen Edelmetallhandelsunternehmen, in seinem neuen Buch sowie in zahlreichen Vorträgen.

Was versteht Krall unter der „Bürgerlichen Revolution“? Markus Krall bei einem Vortrag im Januar 2020: „Wir brauchen eine Reform des Wahlrechts. (…) Ich glaube, dass jeder Anfang der Legislaturperiode eine Wahl treffen sollte. Nämlich entweder zu wählen, also das Wahlrecht auszuüben, das er hat, oder Staatstransfers zu bekommen. (…) Nur, der der einzahlt, darf wählen oder zumindest der, der nichts aus dem System entnimmt, darf wählen.“ [1]

Nach Kralls Überzeugung sollen zum Beispiel Empfänger*innen von Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, BaföG, Wohngeld oder Kindergeld nicht über die Zusammensetzung der Parlamente und damit über die Regierungen mitbestimmen. Diese Forderung nach der Abschaffung eines der zentralen Merkmale einer Demokratie, dem allgemeinen Wahlrecht, stellte Krall bei einer Veranstaltung der AfD in Sachsen auf, wo seine Ansichten durchaus auf Wohlwollen stießen. Wahlrecht „nur für die Leistungsträger und nicht für die Transferempfänger“, das werde im Osten zwar nicht ganz leicht für seine Partei umzusetzen sein, aber da wolle er gerne weiter denken, antwortete AfD-Landessprecher Jörg Urban dem Referenten Krall. [2]

Krall fordert ebenfalls, dass diejenigen, die staatliche Subventionen beziehen, das Wahlrecht verlieren sollen. Das beträfe dann sämtliche Landwirte und auch einige Unternehmen. Bei den subventionierten Unternehmen sollten nach Kralls Ansicht nicht nur deren Manager*innen ihr Wahlrecht verlieren, sondern auch die dort abhängig Beschäftigten, die Angestellten und Arbeiter*innen. Denn, „wenn ich für ein Unternehmen arbeite, dass von Subventionen lebt, dann erhalte ich Subventionen“, so die verquere Logik Kralls. [3] Da stellt sich schon die Frage, wer nach Kralls Überzeugung überhaupt noch wählen und somit die Politik mitbestimmen darf? Krall strebt die Herrschaft einer kleinen Elite von „Leistungsträger“ an, worunter er sich und Seinesgleichen versteht. Seine Forderungen sind zutiefst von einem undemokratischen Geist durchdrungen.

Die Äußerungen Kralls zur Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts waren keine einmaligen Ausrutscher, sie sind fester Teil seines politisches Programms, das er in zahlreichen Interviews und Vorträgen vertreten hat. Besonders häufig sprach Krall in letzter Zeit bei der AfD. Originell ist Kralls Forderung, die demokratische Mitwirkung auf einen kleinsten Kreis von angeblichen „Leistungsträgern“ zu beschränken, nicht. Bereits 2006 forderte Andre F. Lichtschlag, der Herausgeber der marktradikalen Zeitschrift „eigentümlich frei“, in der „Welt“ den „Wahlrechtsentzug für die Unproduktiven“. [4] „Beamte, Politiker, Arbeitslose und Rentner“ sollten nicht wählen dürfen, so Lichtschlag. Wenig später vertrat Konrad Adam dieselbe Position. [5] Adam gehörte 2013 zu den Gründern der „Alternative für Deutschland“ und war bis 2015 einer ihrer Bundessprecher.

Der autoritäre Neoliberalismus

Krall ist ein Anhänger der marktradikalen Theorien der neoliberalen Ökonomen Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises. Diese Vertreter der „Österreichischen Schule“ lehnen jedwedes sozialstaatliche Handeln als Eingriff in einen angeblich sich selbst regulierenden Markt ab. Ziel der Marktradikalen war stets die Zerschlagung des Wohlfahrtsstaats, der Gewerkschaften und der betrieblichen Mitbestimmung, um so die Ausbeutungsbedingungen für das Kapital zu verbessern. Ihr größter Feind ist der „Sozialismus“, wobei als dessen Ausdruck bereits Mindestlohn oder Tarifverträge verstanden werden. Auch Krall behauptet allen Ernstes, dass in Deutschland aktuell „Planwirtschaft“ herrsche. [6]

Während sozialstaatliches Handeln als Unfreiheit und Despotismus verstanden wird, schreiben sich diese Marktradikalen auf die Fahnen, für die Freiheit einzutreten. Doch die Freiheit, die sie meinen, ist die „unternehmerische Freiheit“ zur schrankenlosen Ausbeutung von Mensch und Natur. Es ist eine untiefst unsoziale Ideologie des kapitalistischen Wettbewerbs und des „survivial of the fittest“. Krall ist sich nicht zu blöde seine Forderung nach Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts als freiheitliche Maßnahme zu verkaufen. Jede und jeder hätte schließlich die freie Wahl: das Wahlrecht auszuüben oder staatliche Transfers zu empfangen. Diese „freie Wahl“ ist die Wahl zwischen: Hungern und Frieren, aber Wählen zu dürfen oder Nicht-Hungern und Nicht-Frieren und Nicht-Wählen. Es braucht schon einen grenzenlosen Zynismus, um dies als Freiheit zu verstehen.

In Kralls Ausführungen zeigt sich eine große Verachtung für den von ihm als „Parteiendemokratie“ gescholtenen Parlamentarismus. Krall ist der Überzeugung, dass Menschen ihre Wahlentscheidungen danach treffen, welche Partei ihnen am meisten Transferleistungen verspricht. Folglich sei das System „korrupt“. Die Menschen würden ihre Stimme „für ein Linsengericht verschenken“, behauptet er in einem Vortrag.  Was Krall anstrebt, ist ein autoritäres Regime, in dem eine kleine Gruppe die Politik bestimmt. Wie andere Marktradikale auch setzt Krall für den von ihm angestrebten Umbau der Republik zu seinem autoritären Regime derzeit voll auf die AfD. In der AfD sieht er offenbar die politische Kraft, die nicht nur die lästigen demokratischen Verfahrensweisen beseitigen will und die Linke/„Sozialisten“ bekämpft, sondern zugleich auch seine Klasseninteressen vertritt.

Scharnierorganisation Hayek-Club

Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass Krall nun vom Hayek-Club Münsterland eingeladen wurde. Schließlich steht man in derselben wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Traditionslinie. Bereits 2018 referierte Krall beim Hayek-Club zu seinem damaligen Buch, 2019 stellte er im Rahmen der Verleihung des „Hayek-Preises“ die vom ihm gegründete Atlas-Initiative vor.

Kralls regelmäßige Auftritte bei der AfD und seine Propagierung von AfD-Thesen via Twitter stoßen beim Hayek-Club nicht negativ auf, denn dieser hat selbst AfD-Mitglieder in seinen Reihen. Hayek-Club-Vorstandsmitglied Cornelia Meyer zur Heyde saß bis vor kurzem auch im Vorstand des AfD-Kreisverbands Münster. Der stellvertetende Vorsitzende Ulrich van Suntum war zeitweise NRW-Landesvorsitzender von Bernd Luckes AfD-Abspaltung ALFA. Inhaltlich bedient der Club auch jenseits der Wirtschaftspolitik die Themen der AfD. So fungierte er im März 2019 als Veranstalter einer Lesung von Thilo Sarrazin, als dieser in der Stadthalle Hiltrup sein rassistisches Traktat „Feindliche Übernahme“ vorstellte. Natürlich erschien nahezu das gesamte Münsteraner AfD-Milieu zum Vortrag.

Der aktuelle Vorstand des Hayek-Clubs Münsterland: Cornelia Meyer zur Heyde (AfD, links) und Brigitte Gantke (FDP, 3. v. links)

Der Hayek-Club ist aber keine reine AfD-Veranstaltung, sondern stellt vielmehr eine Scharnierorganisation dar, die AfD-Mitglieder mit anderen Marktradikalen, vornehmlich aus der FDP, zusammenbringt. So sind die beiden Vorstandsmitglieder Christophe Lüttmann aus Hörstel und Dominik Kramer aus Saerbeck vormalige Kandidaten und Funktionsträger der FDP. Hayek-Club-Vorstandsmitglied Brigitte Gantke sitzt aktuell im Vorstand der FDP Osnabrück.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Taktieren der FDP bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht mehr so ungewöhnlich. Die FDP ließ Anfang Februar ihren Kandidaten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum (kurzfristigen) Ministerpräsidenten des Freistaats wählen. Es gibt Kräfte in der FDP, die einer Kooperation mit der AfD aufgeschlossen gegenüber stehen, erst recht, wenn es gegen links geht. Hayek-Clubs existieren übrigens über das gesamte Bundesgebiet verteilt. [7]

Das Gold und die AfD

Seit September 2019 ist Markus Krall, der zuvor unter anderem als Unternehmensberater gearbeitet hat, Geschäftsführer von „Degussa Goldhandel“, der zur Unternehmensgruppe von August von Finck gehört. Der Milliardär von Finck kaufte 2011 die Namensrechte der Degussa vom Mischkonzern Evonik auf, um ihn für seine Geschäfte mit Gold zu nutzen. Dabei ist der Name Degussa geschichtlich erheblich vorbelastet: Der Degussa-Konzern (Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt) war im Nationalsozialismus an der Produktion von Zyklon B beteiligt, dass beim Massenmord in den Vernichtungslagern der Nazis eingesetzt wurde. Ebenso verwertete der Konzern das Zahngold der in den Ghettos getöteten Jüdinnen und Juden.

August von Finck zählt zu den reichsten Deutschen. In der Vergangenheit unterstützte er immer wieder rechte und marktradikale Kräfte mit großen Geldsummen. Auch die AfD profitierte von seinen (verdeckten) Spenden. Fincks Degussa war auch am lukrativen „Goldshop“ beteiligt, mit dem die AfD in der Anfangszeit ihre Finanzen aufpolierte. [8] Damals verkaufte die AfD an ihre Anhänger*innenschaft Gold, um durch den dadurch erzielten Umsatz die Zahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu erhöhen. [9]

Politisch stehen sich von Finck und sein neuer Geschäftsführer Krall also sehr nahe. Es kommt aber noch etwas anders dazu: Krall ist auch Autor von Büchern, in denen er den baldigen Zusammenbruch der Aktien- und Währungsmärkte beschwört. In Zeiten des beschworenen „Crashs“ bietet sich Gold als angeblich sichere Wertanlage natürlich an. Die Thesen in Kralls Büchern dürften also für die Geschäfte von „Degussa Goldhandel“ durchaus förderlich sein.

Der nächste Rechtsaußen-Referent

Roland Tichy (r.) interviewt Markus Krall

Für ihre Veranstaltung im Folgemonat hat der Hayek-Club Münster einen weiteren Rechtsaußen aus dem Dunstkreis der AfD eingeladen: Roland Tichy. Dessen Blog und Zeitschrift „Tichys Einblick“ ist Sprachrohr der autoritären Neoliberalen, die die „Eurorettungspolitik“ ebenso verdammen wie „Flüchtlingspolitik Merkels“, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Klimaschutzpolitik. Als Veranstaltungsort dient dann erneut das „Hotel Brintrup“ in Münster-Roxel, dem „Stammlokal“ des Hayek-Clubs, in dem auch Krall für seine „Bürgerliche Revolution“ werben will.

Update 16.3.2020

Die Veranstaltung mit Markus Krall wird aufgrund der Corona-Epedemie ausfallen. Der Hayek-Club Münsterland teilte darüber hinaus aber mit, dass sie auch alle weiteren geplanten Veranstaltung abgesagt werden müssten, weil sie den Veranstaltungsort verloren hätten. Anders als die Marktradikalen verbreiten, ist dies aber nicht die Folge „linken Gesinnungsterrors“, sondern der Entscheidung des Hoteliers, der, nachdem er über die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung informiert wurde, beschlossen hat, sein Haus nicht für Veranstaltungen mit einer solchen antidemokratischen Ausrichtung zur Verfügung zu stellen.

 

Quellen:

[1] Vortrag von Markus Krall auf Einladung der AfD Sachsen in Olbernhau am 23.01.2020. Thema: „Die bürgerlicher Revolution“, hier ein Mitschnitt der zentralen Passagen: https://www.youtube.com/watch?v=Pxikh4_adOM

[2] Andreas Kemper hat ein Transkript der zentralen Passagen von Kralls Rede sowie Urbans Reaktion auf selbige veröffentlicht: https://twitter.com/AndreasKemper/status/1232634294583136258

[3] Markus Krall im Interview mit Roland Tichy: https://www.youtube.com/watch?v=sVc3gsKiTaA

[4] Lichtschlags Gastbeitrag von 2006 in der „Welt“: https://www.welt.de/print-welt/article153823/Entzieht-den-Nettostaatsprofiteuren-das-Wahlrecht.html#

[5] Adams Gastbeitrag von 2006 in der „Welt“: https://www.welt.de/print-welt/article159946/Wer-soll-waehlen.html

[6] So Krall im YouTube-Interview mit Roland Tichy

[7] In der FDP stieß die Zusammenarbeit von Parteimitgliedern mit AfDlern und anderen Rechten in den Hayek-Clubs bzw. der Hayek-Gesellschaft durchaus auch auf Kritik, mehr dazu in unserem älteren Artikel: https://muensterlandrechtsaussen.blackblogs.org/2018/05/28/148/ sowie LOTTA 61: http://www.lotta-magazin.de/ausgabe/61/demokratie-als-feindbild

[8] Der Spiegel: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-unterstuetzung-die-spur-zu-milliardaer-august-von-finck-a-1240069.html

[9] Die Zeit: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-12/afd-gold-parteienfinanzierung-kommentar