Bislang hatte die AfD Münster stets getönt, bei der Kommunalwahl im September mit einem eigenen Oberbürgermeisterkandidaten anzutreten. Letzte Woche teilte sie dann per Pressemitteilung mit, doch nicht zu kandidieren. Bei der Bekanntgabe des Verzichts blieb es aber nicht. Zeitgleich rief sie dazu auf, den Amtsinhaber, Markus Lewe von der CDU, zu wählen. Man halte Lewe für fähig, „die breite Mitte der Stadtgesellschaft zu vertreten“, so die AfD. Eine Entscheidung, die irritiert: Schließlich legt die extrem rechte Partei eigentlich großen Wert darauf, sich als „Alternative“ zu der als „Altparteien“ geschmähten Konkurrenz zu insenzieren. Ein relevanter Teil der AfD sieht sich selbst sogar in der Rolle der „Fundamentalopposition“. Was war passiert, dass sich die Münsteraner AfD nun als „Juniorpartner“ der CDU andient?
Das Narrativ der AfD
Es lassen sich zur Beantwortung dieser Frage, zwei Geschichten erzählen. Die eine beinhaltet das von der AfD verbreitete Narrativ, dass sich nur durch den eigenen Verzicht ein Wahlsieg des grünen Oberbürgermeisterkandidatens Peter Todeskino verhindern ließe. Die AfD meint, dass die Grünen, der erklärte Lieblingsfeind der AfD unter den politischen Parteien, die Politik in der Stadt dominierten und ihren christdemokratischen Koalitionspartner vor sich her treibe. Von einer „erdrückenden Umklammerung durch die grünen Gesellschaftstüftler“ und einem „schwarz-grünen Ring, der sich um Münster gelegt hat“, fantasiert die AfD Münster. Damit nun alles nicht noch schlimmer werde, müsse der grüne Kandidat verhindert werden. Ist der Verzicht auf die eigene Kandidatur also ein selbstloser Akt bei der – so wörtlich – als „Schicksalswahl“ bezeichneten Kommunalwahl?
Den Blödsinn über die angeblichen „links-grünen Gesellschaftsexperimente“, unter denen die Stadt zu leiden habe, mal beiseite gelassen, hat dieses Narrativ noch einen anderen Haken: Die Oberbürgermeisterwahl ist eine Mehrheitswahl, das heißt, bekommt ein Kandidat nicht die Hälfte aller Stimmen, treten die beiden Bestplatzierten in einer Stichwahl gegen einander an. Dass der grüne Kandidat im ersten Wahlgang gewählt wird, ist aber sehr unwahrscheinlich. Ein Aufruf pro Lewe würde also für einen möglichen zweiten Wahlgang mehr Sinn machen.
Allerdings hätte sich dann mit großer Wahrscheinlichkeit bereits etwas anderes gezeigt: Das mickrige Ergebnis des AfD-Kandidaten.
Resultat der Schwäche
Und hier beginnt die zweite, naheliegendere Geschichte hinter der AfD-Entscheidung. Denn Münster ist die Großstadt, in der die Partei bei den Landtags-, Bundes- wie Europawahlen das schlechteste Ergebnis eingefuhr. Mit Tendenz nach unten: Von Wahl zu Wahl verringerte sich der Stimmensanteil der Partei. Dass sich an diesem Trend bei der Kommunalwahl etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich. Das weiß auch AfD-Sprecher Martin Schiller, der parteiintern immer wieder mit diesen Ergebnissen aufgezogen wird und der besonders bei den „Flügel“-Leuten verhasst ist. Eine weitere Blöße will man sich offenbar nicht geben – nicht zuletzt da ein schlechtes Wahlergebnis bei der Oberbürgermeisterwahl eng mit der Person des Kandidaten verknüpft sein wird.
Zudem stellt sich die Frage, wen man überhaupt zum Oberbürgermeisterkandidaten hätte machen sollen. Schiller selbst hatte frühzeitig abgewunken, ihm haftet zudem das Makel an, erst kürzlich wegen Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden sein. Und auch in der zweiten Reihe findet sich kein akzeptables Personal. Sein Kollege im Rat, Richard Mol, mag als Wahlkämpfer am Infostand noch taugen, nicht aber als Chef der Stadtverwaltung. „Nachwuchshoffnung“ Alexander Leschik hat vor nicht all zu langer Zeit erst die Ersti-Wochen erfolgreich überstanden, ist also zu jung. Und auf den hinteren Plätzen dominiert der Parteigänger-Typus des verbitterten Rentners.
Keine „bürgerliche Partei“
Ist der Verzicht der AfD Münster auf eine eigene Kandidatur also der eigenen Schwäche geschuldet, so versucht sie zugleich ihre Entscheidung in eine stimmige Erzählung einzubetten. Da wird nicht nur das durch einen grünen Oberbürgermeister drohende Unheil beschworen, sondern die AfD erklärt sich gleichermaßen zum Teil des „bürgerlichen Lagers“, dessen Zersplitterung man entgegen wirken wolle. Diese Selbstverortung als „bürgerlich“ sollte man der AfD nicht durchgehen lassen. Sie hat auch in Münster in der Vergangenheit unzählige Male unter Beweis gestellt, dass sie eine Partei mit extrem rechter Agenda ist, deren Vertreter im Rat sich für keine Widerwärtigkeit zu schade sind.
Die AfD Münster mag aktiv für den Amtsinhabers Markus Lewe werben und sogar andeuten, eine „möglichst starke AfD im Rat“ würde mit der CDU konstruktiv zusammen arbeiten. Ein Coup wie in Thüringen wird ihr aber nicht gelingen. Zum einen zählt Markus Lewe nicht zu denjenigen Politiker*innen in der Union, die in der AfD einen möglichen Partner, und sei es nur in einem Zweckbündnis, sehen. Zum anderen wird das erwartbare geringe Wahlergebnis der AfD diese gar nicht in die Lage versetzen, irgendwo Zünglein an der Waage zu sein. Ein Oberbürgermeister Lewe wird sich auch nach der Wahl im Rat mit starken Fraktionen von Union und Grünen auseinandersetzen müssen, die vermutlich genügend Mandate haben werden, um ihre Koaltion fortzusetzen.
Bei Schillers Kritiker*innen innerhalb der AfD indes wird der Verzicht und die aktive Werbung für den CDU-Mann Lewe nicht nur als Ausdruck des Unvermögens des Münsteraner AfD-Sprechers gewertet werden, sondern ebenso als Beweis für Rückgratlosigkeit und Anbiederung an die Union. Tatsächlich ist uns kein anderer Fall bekannt, wo die AfD derart offensiv zur Wahl eines Vertreters der verhassten „Altparteien“ aufruft.