AfD-Kandidat verbreitet Neonazi-Inhalte

Ein Münsteraner AfD-Kandidat für die Kommunalwahl im September teilt bei Facebook Inhalte der Neonazi-Partei „Der III. Weg“, der extrem rechten „Identitären Bewegung” und Grafiken, in denen auf die Tötung Merkels angespielt wird. Für AfD-Kreissprecher Martin Schiller sind diese Äußerungen bloß „Geschmacksache“. Einen Tag später teilt die AfD Münster dann überraschend mit, der betreffende Kandidat werde zum Wohle der Partei auf seine Kandidatur verzichten. Diesen Rückzug will ausgerechnet ein Vertreter des extrem rechten „Flügels“ – Steffen Christ, zugleich Sprecher des Bezirksverbands Münster – durch eine Intervention beim Kreisverband erreicht haben. Ein Blick in die Abgründe einer radikalisierten wie zerstrittenen Partei.

Am 30. Mai hatte sich der Kreisverband Münster der AfD in der Stadthalle Hiltrup für den Kommunalwahlkampf in Münster aufgestellt. Das Ergebnis der Aufstellungsversammlung war ebenso erwartbar wie unspektakulär. Mit Martin Schiller, Alexander Leschik und Richard Mol führen seit langem bekannte Gesichter die Liste für den Stadtrat an. Schiller und Mol sitzen bereits seit 2004 im Rat, der Student Leschik gilt im Kreisverband als „Nachwuchshoffnung“. Auf den Plätzen dahinter traten jedoch viele bislang unauffällige Mitglieder in Erscheinung. Einer von ihnen ist Karl-Heinz Kramer auf Listenplatz 5, der erst Ende 2016 aus Hürth (Rhein-Erft-Kreis) nach Münster-Handorf gezogen ist.

Neonazi-Propaganda verbreitet

Kramer ist pensionierter Lehrer, der gerne Motorrad fährt. Auf den ersten Blick entspricht er also dem Bild, dass die AfD Münster gerne von selbst zeichnen möchte: bürgerlich, gebildet, mit einem gewissen Wohlstand und Status und allgemein eher bieder und unauffällig. Doch auf seinem Facebook-Profil verbreitet Kramer Propaganda-Bilder und Inhalte offen neonazistischer Parteien und Organisationen, u.a. „Der III. Weg” und der „Identitären Bewegung“.

„Rettet die Fluglinien. Jetzt ist der Zeitpunkt, statt Touristen Hunderttausende abgelehnte Asylanten auszufliegen“, heißt es in einem von Kramer verbreiteten Plakat von „Der III. Weg“. Diese Neonazi-Partei wurde 2013 gegründet und bildet ein Sammelbecken für die radikalsten NPDler und Mitglieder verbotener Kameradschaften. Sie ist eine elitäre Kaderorganisation, die vom „nationalrevolutionären Umsturz“ träumt und zahlreiche Gewalttäter in ihren Reihen hat. In Bayern engagiert sich beispielsweise ein Neonazi für die Partei, der 2005 als Rechtsterrorist wegen eines geplanten Bombenanschlags auf die Grundsteinlegung der Münchener Synagoge verurteilt wurde. In Brandenburg zählt Maik Eminger zu ihren führenden Aktivisten – er ist der Zwillingsbruder des verurteilten NSU-Helfers André Eminger.

Karl-Heinz Kramer wünscht Angela Merkel den Tod. Er verpackt diese Aussagen in vermeintlich witzige Fotomontagen. Eine verbindet die Abblildung eines Gemäldes der Bundeskanzlerin in den Händen eines Galleristen mit der Frage, ob man sie lieber „aufhängen oder an die Wand stellen” solle. Ein anderes zeigt einen Grabstein Merkels mit der Aufschrift „hier liegt sie genau richtig”.

Plötzlich doch der Rücktritt

Als AfD-Kreissprecher Martin Schiller von der Lokalzeitung mit den Äußerungen seines Parteifreundes konfrontiert wird, wiegelt er ab. Die Äußerungen seien „Geschmacksache“, der Bezug auf „Der III. Weg“ sei aus Unwissenheit geschehen, der Vorstand werde besprechen, ob Ordnungsmaßnahmen verhängt werden müssten, so Schiller.

Einen Tag später dann die überraschende Meldung, Kramer werde nun doch nicht mehr für die Kommunawahl kandidieren. Die „Westfälischen Nachrichten“ sagte der Sprecher des AfD-Bezirksverbands Münster, Steffen Christ, diese Entscheidung ginge auf seine Intervention zurück: „Christ äußerte gegenüber unserer Zeitung, dass man dem Kreisverband damit gedroht habe, die gesamte Ratsliste der Münster-AfD zurückzuziehen. Die Inhalte Kramers seien nicht tolerabel, und es herrsche Unverständnis darüber, dass man in Münster nicht früher auf den Vorfall reagiert habe“, schreibt die Lokalzeitung.

Ein erbitterter Kampf innerhalb der AfD

Alexander Leschik (r.) und Steffen Christ (2. v.r.)

Dass es sich so zugetragen hat, wie von Christ beschrieben, daran gibt es keinen Zweifel. Aber wer Christ kennt, reibt sich verwundert die Augen. Schließlich ist dieser selbst für extreme Töne bekannt. Anfang 2019 sorgte er für Schlagzeilen, als rassistische und NS-relativierende Äußerungen von ihm aus Whatsapp-Chats bekannt wurden. Christ hatte dort u.a. gesagt: „Ohne einen Bürgerkrieg light wie bei Erdogan wird’s nicht laufen.“ Christ sollte deswegen von parteiinternen Gegenspielern sogar aus der AfD geworfen werden, was aber misslang. Er und andere Anhänger von Björn Höckes „Flügel“ bauten sich im Bezirksverband Münster der AfD eine kleine Machtbastion auf.

Ebenfalls im Vorstand des Bezirksverbands sitzt der Polizeibeamte Martin Myrhe, der sich für die AfD als Oberbürgermeisterkandidat in Bocholt zur Wahl stellen will. Myrhe hatte auf seinem Facebook-Account, die Neonazi-Band „Die lustigen Zillertaler“ geliked, das Nachfolgeprojekt der Zillertaler Türkenjäger“ –  bekannt für ihre besonders widerwärtigen rassistischen und gewaltverherrlichenden Texte. Sämtliche Alben sind indiziert. Es ist nicht bekannt, dass sich Steffen Christ an der Sympahtiebekundung seines Parteifreunds stört oder ihm nahegelegt hätte, von seiner Kandidatur zurückzutreten.

Mit Martin Schiller liefern sich Christ und seine Mitstreiter*innen seit Jahren einen erbitterten Kampf, bei dem beide Seiten mit harten Bandagen und ohne Rücksicht auf Verluste kämpfen. Hintergründe dieses Kampfes sind persönliche Animositäten, strategische Differenzen und Machtstreben. Inhaltlich liegen zwischen den politischen Positionen der Kontrahenten keine Welten. Anstand oder das von Schiller geforderte „hohe Maß an gesellschaftlicher Verantwortung“ kann niemand von ihnen vorweisen. Auch Schiller und sein Kreisverband machten in der Vergangenheit u.a. durch antisemitische Hetze gegen den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Münster, die Einladung des extrem rechten Vordenkers Karlheinz Weißmann oder des Neonazis Andreas Kalbitz oder misogyne Hetze gegen die Klimaaktivistin Greta Thunberg von sich reden.

„Frühere Rechtsradikale“ und „ehemalige NPDler“

Wie tief die Gräben zwischen den Lagern in der Münsterländer AfD sind, zeigte sich auch Anfang Juni in einem öffentlichen Schlagabtausch zwischen Helmut Birke, einem früheren Funktionär des AfD-Kreisverbands und aktuell stellvertretender Sprecher des Bezirksverbands, und Schiller-Intimus Alexander Leschik. Hintergrund war die Kontroverse um die Annullierung der Mitgliedsrechte des Brandenburger AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz, für den Birke natürlich Partei ergriff. Leschik nutzte dies, um Birke öffentlich als ehemaligen Regionalkoordinator von „Die Freiheit“ zu outen, einer mittlerweile aufgelösten Partei, die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Birke belüge seit 2013 seine Partei und verschweige diese Mitgliedschaft, ätzt Leschik. Der so Angegriffene konterte: „Klar habe ich mich für ein paar Monate mal für die Freiheit engagiert. Soweit ich mich erinnere, war das ein lockerer Kreis, zu dem auch schon mal der CDU-Ratsherr Leschniok und andere dazustießen.“

Birke zeigte dann mit dem Finger auf das Münsteraner AfD-Mitglied Reinhard Rupsch, den er als Leschiks Quelle ausgemacht haben will und ihn einen „früheren Rechtsradikalen“ nennt, „der 2003 mit dem Nazi Udo Voigt in Dresden aufgetreten sein soll.“ Dies entspricht auch den Tatsachen. Rupsch war ein führender Funktionär der extrem rechten „Republikaner“ und sprach beim Neonazi-„Trauermarsch“ 2003 in Dresden, was Antifaschist*innen aber seit Jahren bekannt ist. In der AfD Münster kannte man Rupsch braune Biografie auch – Konsequenzen hatte sie
aber nie.

Leschik schrieb daraufhin, Birke habe 2016 versucht „einen ehem. NPDler in den KV aufzunehmen, der auf einem Stammtisch noch die Deportation aller Muslime in Deutschland forderte.“ Birke dann: „Jetzts wird‘s aber übel. Aber so kennen wir den Leschik, rotzfrech und verleumderisch bis an die Nasenspitze.“

„Junge Generation“ vs. „Junge Alternative“

Zerwürfnisse gibt es auch an andere Stelle: Alexander Leschik war bis Anfang 2019 Mitglied des Bundesvorstands der „Jungen Alternative“ – der Jugendorganisation der AfD. Als diese Gefahr lief ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes zu werden, trat er von seinem Posten zurück. Zuvor hatte er versucht, die „Junge Alternative NRW“ aus dem Bundesverband herauszutreten. Wenig später gab er die Gründung der „Jungen Generation“ (JG) bekannt, in der Menschen im Alter zwischen 14 und 36 Mitglied werden könnten und die sich als parteiübergreifend verstehe. Neben den jungen AfDlern hatte er Studierende vom rechten Rand der Union und der FDP als Zielgruppe auserkoren.

Bei der JG passierte erstmal wenig, am 26. Oktober 2019 fand dann aber in der Kneipe „Uppenberg“ in Münsters Kreuzviertel eine „Auftaktveranstaltung“ statt, an der zirka 30 Personen teilnehmen. Darunter auch Marcel Winkin, ein Freund Leschiks und einige Zeit der Ortsgruppenleiter der „Identitären Bewegung“ in Münster. Nach der Auftaktveranstaltung war von der JG nichts mehr zu vernehmen. Offenbar war das Projekt ein Rohrkrepierer.

Nichtsdestotrotz zog es den Unmut von anderen AfD-Funktionären auf sich. Schließlich handelt es sich bei der JG um eine Konkurrenzorganisation zur „Jungen Alternative“. Deren NRW-Verband beschloss im November 2019 einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der JG. Doppelmitgliedschaften seien nicht gestattet und führten zu „Ordnungsmaßnahmen.“

Ausblick

Den Zerwürfnissen zum Trotz: Die AfD Münster wird im September 2020 zum Rat der Stadt Münster kandidieren. Sie will sogar einen eigenen Oberbürgermeisterkandidaten aufstellen. Zwar ist ein überragendes Wahlergebnis nicht zu erwarten, aber aufgrund der fehlenden Sperrklausel könnten wieder ein oder zwei AfD-Vertreter in den Rat einziehen. Karl-Heinz Kramer wird nicht dabei sein, sein Listenplatz 5 hätte ohnehin nicht ausgereicht. Aber es geht auch nicht um Einzelfälle. Die AfD in Münster ist als Ganzes ein rassistischer Verband – unabhängig davon, auf welche Seite sich einzelne Funktionäre im parteiinternen Kampf schlagen.