Seit Ende Mai betreibt die 18-jährige Münsteranerin Naomi Seibt einen Kanal auf „YouTube“, auf dem sie versucht, rechtes Gedankengut scheinbar harmlos und pseudowissenschaftlich zu verbreiten. Damit gelang es ihr innerhalb kürzester Zeit ein großes Publikum anzusprechen, mittlerweile folgen über 30.000 Personen ihrem Kanal. Sie liegt damit in Sachen Beliebtheit im Mittelfeld der rechtsradikalen „YouTuber“ und selbst ernannten „Influencer“. Besonders in AfD-Kreisen werden ihre Videos verbreitet.
Ihre Reichweite liegt sicher nicht an der Aufmachung ihrer Videos, die sie stets vor dem selben langweiligen Hintergrund, vermutlich ihrem Kleiderschrank, dreht, Ganz im Stile ihres Vorbild-Kanals „Heimatliebe“ des sexistischen Mackers Oliver Flesch oder den Videos der „identitären“ Aktivist*innen Brittany Pettibone und Martin Sellner, die sich gern nahbar geben, weil sie die Zuschauenden in ihre Wohnung lassen. Naomi Seibt war bereits vor ihrem 18. Geburtstag und dem Beginn ihrer „YouTube“-Karriere in der äußersten Rechten bekannt, vor allem nachdem sie einen von der AfD-Bundestagsabgeordneten Nicole Höchst ausgeschriebenen Gedichtwettbewerb mit dem Titel „Mutige Mädchen“ gewonnen hatte. Bereits mit 16 Jahren veröffentlichte sie auf dem rechten Blog „philosophia perennis“. Auf dem Blog lädt auch ihre Mutter Karoline Seibt ihre Menschenverachtung ab. Die Rechtsanwältin mit Kanzlei in Münster-Handorf ist Unterstützerin der AfD, für die sie vor der Bundestagswahl 2017 einen Aufruf zur Wahlunterstützung veröffentlichte. Ihre Tochter wird nicht müde zu betonen, welche wichtige Rolle ihre Mutter für sie in ihrer politischen Sozialisation gespielt hat.
So verwundert es nicht, dass Naomi Seibt innerhalb kürzester Zeit mit ihren unschuldig daher kommenden und vorgeblich aufklärerischen Videos in den Kern der rechten Social-Media-Community vorgedrungen ist. Sie wird interviewt von Brittany Pettibone, mit der sie sowohl über verschwörungsideologische Ideen über die linke Indoktrination von „Fridays for Future“- Aktivist*innen schwadroniert oder die Schwierigkeit bespricht, als junge rechte Frau überhaupt ernst genommen zu werden.
Harmlose Verpackung – alte Inhalte
Beeindruckend ist indes ihre Fähigkeit im jungen Alter auf Deutsch und Englisch sicher im Sprachgebrauch rechte Propaganda reproduzieren zu können und dabei so unschuldig und unwissend zu wirken, dass es weh tut, zuzusehen. Dieses Auftreten macht es jedoch nicht schwieriger zu erkennen, dass es ihr um nationalistische, rassistische und antifeministische Inhalte geht. Selbstbewusst nennt sie sich „libertär“, wird aber nicht müde zu betonen, dass aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive rechts wohl eher passend wäre. Insgesamt ist diese Strategie als „Trend“ in einem Feld der extremen Rechten betrachten, dass versucht möglichst anschlussfähig an ein konservatives Milieu zu bleiben.
Stilistisch lehnt Seibt sich an intellektuell agierende Akteur*innen der extremen Rechten an und erklärt auf Grundlage von pseudowissenschaftlichen Erkenntnisse, wie es um die Welt bestellt ist. Doch falls ihr unterstellt wird, dass ihre verschwörungsideologischen Ideen nichts mit akademischen Betrachtungen zu tun haben, weiß sich Naomi Seibt zu helfen. Sie habe ja immerhin noch keinen Abschluss. Obwohl sie sich darum bemüht, intellektuell aufzutreten, entzieht sie sich mit diesem Argument der Verantwortung für die Wissenschaftlichkeit ihrer Thesen. Ihr Anspruch endlich „die Wahrheit“ auszusprechen, steht im Mittelpunkt jeder rechtspopulistischen Kommunikationsstrategie. Neu ist nur die „Verpackung“, die Seibt wählt: harmloser daher kommen als männlich dominant auftretende Vertreter der sogenannten Neuen Rechten. Daher ist es sicherlich kein Zufall, dass sie sich als die „junge Nachbarin von nebenan“ inszeniert und immer wieder betont, wie hart es ist sich als junge Frau dem rechten Spektrum offen zuzuordnen. Ihre Erzählungen von Unverständnis im Freund*innenkreis oder der Schule gipfeln stets in der Moral, dass man für seine menschenverachtenden Einstellungen einstehen muss und letztendlich „Andersdenkende“ findet, die diese miteinander teilen, und sich vor allem online gegenseitig Follower*innen zuspielen. Von der rechten Filterblase, die durch „YouTube“-Algorithmen bestens zur Bildung extrem rechter (Sozial-)Netzwerke beiträgt, profitiert Seibt sofort.
Ihre Argumentation verbleibt häufig in einem neoliberalen Sprech, der sich auf Erwerbstätigkeit und Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt bezieht. Angereichert mit allerlei Buzzwords aus dem großen Feld der extremen Rechten. Dass sie mit der Erzählung von „Wer sich nur anstrengt, bekommt den Job“ und einer Negierung von anderweitigen gesellschaftlichen Machstrukturen im marktradikal orientierten Hayek-Club Münster gut an kommt und 2018 mit einem Sonderpreis für Schüler*innen prämiert wurde, wundert kaum. (siehe Aufmacher-Foto oben)
In Münster steht Naomi Seibt nicht nur mit dem Hayek-Club in Verbindung. Beim 1000 Kreuze Marsch 2018 zeigte sie sich in Begleitung von Alexander Leschik, Vorstandsmitglied der AfD Münster und Robert Malcoci, der in einer Neonazi-Familie aufgewachsen ist, in der extrem rechten Münsteraner Burschenschaft Franconia war und für die „Identitäre Bewegung“ aktionistisch in Erscheinung getreten ist. Die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative” bezeichnet Naomi Seibt als ihr Mitglied. Auch Naomis Mutter, Karoline Seibt, Anwältin des Münsteraner AfD-Ratsherrn Richard Mol, ist gern gesehener Gast beim Hayek-Club und eng verbunden mit Martin Schiller.
Naomi Seibt teilt Gedanken, die sich im Kern mit dem Begriff des „Ethnopluralismus“ zusammenfassen lassen, die aktuell vor allem mit der „Identitären Bewegung” in Verbindung gebracht werden. Dies drückt sich vor allem aus, wenn sie darüber spricht, dass sich „fremde Kulturen“ nicht vermischen dürften. Sie behauptet, Anhängerin eines „liberalen kulturellen Nationalismus“ zu sein, der nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun habe. Sie beteuert keine Anhängerin von Rassismus zu sein, denn sie würde ja nicht unbegründet ihre eigene Nation als „die Beste“ benennen. Kurz darauf behauptet sie dann aber, dass eine liberale Kultur anderen Kulturen überlegen sei. Sie verbleibt stets in Erzählungen des „Eigenen“ und des „Anderen“ , wer dieses „Wir“ eigentlich ist und wen sie zu ihrer Gemeinschaft dazu zählt, bleibt absolut wage.
Der Feind hingegen kann klar und deutlich benannt werden: Seenotrettungs-NGOs, eine angebliche „linke Meinungsdiktatur“, Feminist*innen, politische Gegner*innen und diejenigen, die sich gegen Machtstrukturen in der Gesellschaft einsetzen. Mit ihren vermeintlich passgenauen Bestimmungen von abgrenzbaren Gruppen geht eine angebliche Wissenschaftlichkeit und eine sehr bedachte Sprache einher. Das mag ihre Stärke sein, bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass sich hier verschwörungsideologische Erzählungen aneinanderreihen. Wie die einer „Massenmigration“, die durch Seenotrettungs-NGOs befeuert werde. Diese machten sich somit schuldig am Tod von Menschen im Mittelmeer. Wohingegen eine Aufklärung durch westlich liberale Nationen auf dem afrikanischen Kontinent und Entwicklungshilfe in den Herkunftsländern doch sehr viel effektiver wäre. Mit Schlagwörtern wir „Schuldkomplex“ und „Bevölkerungsexplosion“ oder der Erzählung über „Feminismus als „Ideologie“ sowie der „Glorifizierung von Abtreibungen“, bedient sie Sprache und Narrative extrem rechter Akteur*innen.
Ihre antifeministische Haltung zeigt sich schwerpunktmäßig in ihrem Video „Fierce without feminism“, in dem sie beteuert, als Antifeministin die „wahre“ Feministin zu sein. Denn die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sei bereits hergestellt. Wenn eine Frau heute nicht das erreichen könne, was sie gerne erreichen möchte, sei sie eben nicht gut genug oder müsse sich halt mehr anstrengen. Welche Rolle für Naomi antifeministische Kämpfe spielen, zeigt sich auch in ihrer Teilnahme an den 1000 Kreuze Märschen in Münster, auf der sogenannte Lebensschützer, fundamentalistische Christ*innen, extrem rechte Burschenschafter und AfDler*innen gemeinsam gegen Selbstbestimmungsrechte von Frauen und für eine reaktionäre Familienpolitik auf die Straße gehen. Homosexualität ist, ansonsten in der extremen Rechten eher beschwiegen, auch ein Thema in einem ihrer Videos. Anlässlich der „Pride Weeks“ beteuert sie, dass es doch mittlerweile kein Problem sei, sich als homosexuell zu outen und allein die vorgeblichen Geschichten von Intoleranz und Ausgrenzung aus der Community junge Homosexuelle davon abhalten würden, sich zu outen. Dem gegenüber stellt sie, dass das „Outing“ als konservative, rechte junge Frau sich umso schwieriger gestaltet hätte, denn dem Mainstream nicht zu entsprechen, sei so viel härter. Härter also, als sich als Mitglied einer gesellschaftlich strukturell benachteiligten Gruppe von Menschen, deren Begehren im Extremfall so gar Anlass gewaltsamer Angriffe sein kann, zu bekennen.
Rechte Propagandistin
Wenn Naomi Seibt sagt, dass sie kein Klon ihrer Mutter ist, hat sie absolut recht. Die Entscheidung mit extrem rechten Inhalten an die Öffentlichkeit zu gehen, menschenverachtende Inhalte zu teilen und sich einer antidemokratischen Bewegung anzuschließen, hat sie ganz allein getroffen und dafür ist sie ganz allein verantwortlich. Sie ist nicht Opfer ihrer rechten Mutter oder einer Community, von der sie indoktriniert ist. Sie weiß sich zu inszenieren, sie weiß zu reproduzieren und stellt sich als belesen, intelligent und entschieden dar.
Als offensichtliches Scharnier zwischen einer konservativ-rechten, sich als „Mitte“ begreifenden Gesellschaftselite und Kreisen der extremen Rechten könnte Naomi Seibt zu einer wichtigen Figur der aktuellen Normalisierung von extrem rechten Ideologiefragmenten und Erzählungen werden.